egehren   Die Dame war eingeschlafen. Sie trug der Liebe Waffen: einen Mund durch und durch leuchtend, der konnte allerdings das Herz eines stürmischen Ritters in Bedrängnis bringen. Während die Dame da schlief, lief ihr der Mund ein bißchen auseinander: Der trug der Liebe Hitze Feuer. So vollkommen, wie sonst nur der Wunsch sein kann, lag dieses Abenteuer am Wege. Von schneeweißem Bein standen da hübsch und glitzernd einer neben dem andern ihre schimmernden Zähne. Ich glaube schon, daß man mich dran gewöhnen könnte, einen Mund zu küssen, von dem es so viel Gutes zu berichten gibt: Mir ist es noch nicht oft vergönnt gewesen.

Ihre Bettdecke war aus Zobelfell und vom Hüftbeinchen an aufgeschlagen. Die hatte sie, denn ihr war heiß, von sich geschoben, als der Herr des Zeltes sie verließ. An ihr lag alles Können eines Meisters, eine sehr elegante Kreation: Aus Gottes eigener Werkstatt kam ihr süßer Leib. Schöne, lange Arme hatte sie und weiße Hände. Der Knabe sah ein Ringlein blitzen, das zog ihn mit Macht zum Bett: da fing er mit der Herzogin zu kämpfen an. Es war ihm nämlich die Lehre seiner Mutter in den Sinn gekommen, die hatte ja gesagt, daß der Ring  von einer Frau was ganz Begehrenswertes sei. Und so sprang denn dieser schöne Knabe vom Teppich, auf dem er stand, ins Bett hinein.   - Wolfram von Eschenbach, Parzival. Frankfurt am Main 1993 (zuerst ca. 1200, Übs. Peter Knecht. Die Andere Bibliothek 100)

Begehren (2)  Sie wachte aus Liehe oder aus Liebesdrang oder -dürsten, und das war der Grund, daß sie, würde sie sich jetzt hinlegen, nicht anders könnte als im Augenblick zu vergehen? Wie groß, wie riesenhaft war ihr Begehren, das fast - nein nicht wieder dieses »fast« - ständige. »Begehre ich zu groß für meine Zeit? Begehre ich zu groß für alle Zeit?« Wo blieb der, den sie liebte? Warum wußte dieser Wicht nicht von sich aus, wo sie war, und suchte sie auf? Warum ging dieser Schuft unbekannt weit weg mit seinen ewig im Wind flatternden Beinkleidern am Rand der Landstraße, zwar nicht von ihr fort, aber auch nicht »herzu«? »Ahnungsloser! Dummkopf! Falscher Abenteurer! Tagedieb!«  - Peter Handke, Der Bildverlust oder Durch die Sierra de Gredos. Frankfurt am Main 2002

Begehren (3)   Die Liebe als vielgestaltiges Anfallsleiden impliziert erstens, daß man sich ihrer nicht mit dem Intellekt oder dem Bewußtsein erwehren, sie nicht steuern kann, und zweitens, daß sie immer dann, wenn man sich bereits geheilt glaubt, in neuer Form zuschlägt. Diese äußerst quälende, pessimistische Deutung der Liebe bei Proust (man sagt, er habe mit seinen Schuhen nach einem Dichterkollegen geworfen, der ihn überzeugen wollte, daß glückliche Liebe möglich sei) liegt in seiner Annahme begründet, die Liebe sei nur eine Erscheinungsform eines größeren und mächtigeren Begehrens, das prinzipiell nicht durch einen anderen Menschen gestillt werden kann.  - Ulrike Sprenger, Proust-ABC. Leipzig 1997

Begehren (4)  Ihr Begehren  war von einer Art, daß es kaum einem Gegenüber je als ein solches kenntlich werden konnte (und es war wohl auch nicht ihm zugedacht?). Wer es überhaupt wahrnahm, dem jagte es eher Schrecken ein. Egal, ob ich gemeint bin oder nicht: nur weg von hier! Sie ist irre geworden. Was für eine rauhe Stimme sie hat. Und was für Grimassen sie zieht. Sie wird mir den Kopf abreißen. Sie wird mir ihr Schwert in das Herz stoßen. Oder sie wird mich schlicht anspeien und mir ihre neun Zungen zeigen. Oder sie wird dem Kind auf dem Sitz neben ihr den Hals umdrehen. Oder sie wird sich mitsamt diesem Kind da durch den Notausgang in die Tiefe stürzen, über dem río Ebro jetzt, über dem río Duero jetzt, auf die dort unten jetzt sich nähernde spielklotzkleine Kathedrale, »Unserer Frau von der Säule« geweiht, von Zaragoza, der nicht mehr nord-, sondern schon südwestlichen Flußhafenstadt: durch die Reihe, Männer wie Frauen, selbst die Kinder und selbst die Tiere, ergreifen wir auf der Stelle die Flucht vor dem Sehnen, dem Begehren, dem Erfülltsein, dem Hilflossein - alles in einem - dieser Wilden. Auf dem Küchentisch in ihrem leeren Anwesen die Passionsfrucht, oder ein Granatapfel? oder eine Zitrone?, daneben das zurechtgelegte Messer, von den durch die Schalen der Frucht dringenden Fruchtfleisch-Schwaden bedunstet.- Peter Handke, Der Bildverlust. Frankfurt am Main 2002

Wünsche Habenwollen

 

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Begierde