efürchtung Was ich für die kommenden Geschlechter am meisten fürchte, sind nicht die Revolutionen.
Wenn die Bürger fortfahren, sich immer enger in den Umkreis ihrer kleinen häuslichen Anliegen einzuschließen und darin ruhelos tätig zu sein, so ist zu befürchten, daß sie zuletzt unzugänglich werden für jene großen und mächtigen öffentlichen Erregungen, die die Völker verwirren, sie aber vorwärtstreiben und erneuern. Wenn ich sehe, wie der Besitz so wandelbar und die Liebe zum Besitz so ängstlich und brennend wird, kann ich nicht anders als davor bangen, daß die Menschen am Ende jede neue Lehre als eine Gefahr ansehen, jede Neuerung als ärgerliche Störung, jeden sozialen Fortschritt als ersten Schritt zu einer Revolution hin, und daß sie sich gänzlich jeder Bewegung enthalten aus Angst, von ihr fortgerissen zu werden. Ich bekenne, daß ich davor zittere, sie könnten schließlich so sehr in den Bann einer feigen Liebe zu Gegenwartsgenüssen geraten, daß sie sich weder um ihre eigene Zukunft noch die ihrer Nachkommen kümmern und daß sie lieber weichlich dem Lauf ihres Schicksals folgen, als daß sie nötigenfalls eine rasche und entschlossene Anstrengung zu seiner Besserung unternehmen.
Man glaubt, daß die neuen Gesellschaften täglich ihr Gesicht ändern
werden, und ich, ich habe Angst, daß sie schließlich allzu unbeweglich
bei denselben Einrichtungen, denselben Vorurteilen, denselben Sitten verharren;
dergestalt, daß das Menschengeschlecht stehenbleibt und sich selber beschränkt;
daß der Geist sich ewig wieder und wieder über sich selber beugt, ohne
neue Ideen hervorzubringen; daß der Mensch sich in kleinen, gesonderten
und unfruchtbaren Bewegungen erschöpft und daß die Menschheit sich zwar
unaufhörlich rührt, aber nicht mehr fortschreitet.
- Alexis de Tocqueville, Über die Demokratie in Amerika. München 1976 (dtv 6063,
zuerst 1835/1840)
Befürchtung (2) Jemand erzählte von einer Frau, die er höchlich bewunderte und zu heiraten wünschte, nur daß er Angst hatte vor ihrer geistigen Überlegenheit.
«Sie brauchen keine Angst zu haben», meinte Johnson, «heiraten Sie sie ruhig. Ehe noch ein Jahr herum ist, werden Sie sie längst nicht mehr so beängstigend klug und geistreich finden.»
Daß die Befürchtung des Betreffenden aber nicht ganz unberechtigt war,
geht aus einer Stelle in Johnsons Abhandlung über den Barocklyriker Edmund
Waller hervor, wo es heißt: «Er verherrlichte zweifellos manche Frau, die
zu heiraten er sich gescheut hätte, und heiratete schließlich eine, die
zu verherrlichen er sich wohl schämte. Eigenschaften, die zum häuslichen
Glück beitragen, lassen sich dichterisch oft nicht verwerten; und anderseits
gibt es mancherlei reizende Wesenszüge, die sich wohl im Gedicht
preisen, aber niemals billigen lassen.» -
(
johns
)
Befürchtung (3) Würden ein Normalarbeitstag
von acht Stunden, ein Ausschluss jeder Frauenarbeit, die weitgehende Beschränkung
der Kinderarbeit herbeigeführt werden, so ist in sittlicher Beziehung zu
befürchten, dass der erwachsene Arbeiter seine freie Zeit im Wirtshaus
zubringt, dass er mehr als bisher an agitatorischen
Versammlungen teilnimmt, mehr Geld ausgibt und, obwohl der Lohn derselbe
bleiben wird wie für den bisherigen Arbeitstag, doch nicht zufrieden ist.
-
Wilhelm
II, Vorschläge zur Verbesserung der Arbeiter
(1890)
Befürchtung (4)