Beethoven
(2) Vor ihnen, auf hölzerner Schale, kreisen die Ringe. Er weiß
nicht mehr, welcher Finger es ist. Noch ehe der Ring den Finger umschließt,
daä Familienbuch mit den Eintragungen des Tages in der großen steifen Schrift
des Beauftragten des Personenstandwesens über den Tisch geschoben wird, haben
die Glocken in der Kirche gegenüber aufgehört zu läuten. Die Stille
wäre unerträglich, wenn nicht ein geheimer Mechanismus irgendwo betrieben würde.
Der Beamte lächelt, wie er zu Weihnachten lächelt, wenn er seinen Enkeln den
Weihnachtsmann spielt und den Sack mit den Geschenken öffnet, wie der Staatspräsident
zum Neujahr lächelt, wenn er im Rundfunk von Perspektiven spricht. Denn: im
Nebenzimmer hat einer Beethoven auf den Plattenteller gelegt, die Nadel fährt
ächzend zum ungezählten Mal in die Plattenrille, gewaltig stößt der Ton aus
dem Lautsprecher zu ihren Köpfen, warum muß es die Neunte sein, Paasch sieht
auf, der Cognac hat ihn jetzt ganz erreicht, Beethoven breitet sich aus. Was
nur ist mit Paasch, das Mädchen nimmt den Schleier ganz vom Gesicht, der Beamte
sieht hoch, dem Frieden seiner Innerlichkeit droht Gefahr, denn nicht minder
gewaltig bricht es aus Paasch hervor, lallend gurgelnd lachend, Krämpfe winden
sich aus seinem Hals, schreiend steht Paasch auf, flieht durch die Tür, fällt
durch Gänge Fluren Treppenhäuser des Rathauses, wo des Bürgers Sicherheit zu
Hause ist, er seine Karteikarte hat, Ankergrund eines Gemeinschaftslebens, dennoch
flieht Paasch, schreiend lallend lachend durch Gänge hetzt Paasch, auf die Leute
nicht achtend, die hier ihren Bittgang gehen, Beamte reißen Türen auf, sehen
diesen Mann im Bart, der einen guten Anzug trägt, ein weißes Hemd, eine Krawatte
aus seines Vaters Kleiderschrank, der einen zivilen Eindruck macht, dennoch
die Treppe hinunterstürzt, zwei und drei Stufen unter einem Schritt, rechts
herum, links herum, geradeaus, unten tritt Stanislaus soeben aus der Buchhandlung,
mit einem Präsent für die Neuvermählten, eine staatlich subventionierte sexuelle
Aufklärungsbroschüre, Was jeder wissen muß, in der Rechten, die er Paasch in
die Hand drückt, der samt dem Buch, gefaßter, aber atemringend der harrenden
Verwandtschaft hart in die Arme fällt. - Fritz Rudolf Fries, Der Weg nach Oobliadooh. Leipzig
1993 (zuerst 1975)
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