Baustelle    Der rechte Baumeister kommt nicht einfach an einer bestimmten Stelle an, schon gar nicht mit Blaupausen. Er zieht nämlich im Lande umher, ohne Freunde und Schmeichler. Neben ihm, wie in einer Schützenlinie, gehen die Arbeiter, die Schlosser, die Schreiner, mit Gerät. Wenn dem Baumeister nun eine bestimmte Stelle auffällt, dann ruft er »Halt!« Der Ruf pflanzt sich nach beiden Seiten hin fort. Die äußeren Flanken kommen, da der Ruf dort erst später gehört wird, viel weiter vorn zum Stillstand, so daß, wenn Ruhe eingetreten ist, die Bauleute etwa im Kreise stehen. Nun haben sie ein Stück Land umzingelt. Handelt es sich um einen Wald, einen Hügel, so sehen sie einander gar nicht, nur jeder hält sich den Nebenmann in Rufweite, aus Verständigungsgründen. Nun lassen sie sich, jeder für sich, dort, wo sie stehen, nieder, graben ein Loch in die Erde und warten ab, bis dem Baumeister etwas beifällt. Das ruft er dann den anderen zu. Zum Beispiel: »Anfangen!« ruft er, und wenn sich der Ruf, nachdem er die Runde gemacht und zum Baumeister zurückkommt, nicht verändert hat, was möglich ist und auch oft geschieht, so fangen sie also an. Mitunter verändert sich aber der Ruf unterwegs, etwa, daß die Vorsilbe ausfällt und die Arbeiter nun einander haschen und juchzend umfangen halten und sich wieder losreißen und über Stoppelfelder hinweg, durch reißende Ströme, hohen Schilf, über benachbarte Marktplätze in den Horizont hineinjagen. Dann wartet der Bau.

Der Ruf kommt also unverändert zum Baumeister zurück, und nun fangen alle, unabhängig voneinander, dort, wo sie sind, zu bauen an. Ein Lied auf den Lippen sticht der eine den Spaten ein. Vielleicht voreilig schichtet der andere Ziegelsteine aufeinander, während am gegenüberliegenden Ende des Kreises Pfähle gesteckt werden. Einer rührt Mörtel, sein Nebenmann schleppt Rohrstücke heran, ein weiterer stampft den Boden flach und bricht Zweige ab.

Wenn dann gewechselt wird - und zwar jeweils nach links tretend nimmt jeder die Arbeitsstelle des linken Nebenmannes ein, so daß insgesamt eine Kreisbewegung im Sinne des Uhrzeigers stattfindet -, wenn also gewechselt wird, vermag der einzelne die Arbeit des Nebenmannes genauer ins Auge zu fassen. Sagt sie ihm zu, so setzt er sie im gleichen Geiste fort, schließt sie sogar an die benachbarte, vordem eigene an. Mißfällt sie ihm aber, so reißt er sie ein und beginnt, wenn ein neuerlicher Wechsel ihn nicht unterbricht, von vorne. Womöglich rückt er auf eine Stelle vor, die sein Vorgänger eben niedergelegt hat. Dann ist es auch möglich, daß es ihm an dem Material gebricht, das er hier gern verwenden möchte. Dann wendet er sich stracks um und geht in die Stadt, um es zu holen. Manchmal trifft er dort Genossen, und es wird gezecht. Heftige Spiele, und der Bau muß warten. Wenn die Herren zurücktaumeln, ist es Zeit zu neuem Wechsel, jeder benötigt neues Material, der Bau liegt brach. Oder der eine kommt zurück, ein anderer ist aber auf seinen Platz vorgerückt, es verdrießt ihn, man ficht, Kalkstaub wirbelt in Schwaden auf, große Backsteine fliegen durch die Luft, wieder Arbeitspause.    - Reinhard Lettau, Schwierigkeiten beim Häuserbauen. [Mit Aufritt Manigs]. Frankfurt/M. - Berlin - Wien 1982 (zuerst 1962)

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