analität Ein
Gemisch aus Naivität und Verstellung, Anmut und Gewöhnlichkeit, grauem
Trüb- und rosigem Frohsinn, konnte Lolita,
wenn sie wollte, ein absolut nervenzermürbender Balg sein. Ich war wirklich
kaum auf ihre Anfälle schlampiger Langeweile gefaßt,
auf ihr intensives, heftiges Genörgel, auf ihr fläziges, lustloses, stumpfäugiges
Gehabe und auf das, was man Quatschmachen nennt: einer ziellosen Alberei,
die sie für die Art hartgesottener Halbstarker hielt. Ich entdeckte, daß
sie geistig ein ekelhaft konventionelles kleines Mädchen war. Süßlicher
heißer Jazz, volkstümliche Quadrilletänze, klebrige Sundaes mit heißer
Schokoladensauce, Musicals, Filmmagazine und so weiter - derlei rangierte
in der Skala ihrer Vorlieben offensichtlich an erster Stelle. Gott weiß,
mit wie vielen Nickelmünzen ich die prunkvoll von innen beleuchteten Musikautomaten
fütterte, die es zu jeder unserer Mahlzeiten gab! Noch immer höre ich die
näselnden Stimmen dieser Unsichtbaren, die Lolita ihre Ständchen darbrachten
- Menschen mit Namen wie Sammy und Jo und Eddy und Tony und Peggy und Guy
und Patty und Rex, und die sentimentalen Schlager, die mein Ohr alle so
wenig unterscheiden konnte wie meine Zunge Lolitas
verschiedene Süßigkeiten. Mit einer Art himmlischer Einfalt glaubte sie
an jede Reklame und jeden Ratschlag, die in Movie Love und Screen Land
erschienen - «Pickel verdorren mit Dorpickil» oder «Überlegt es euch, Mädels,
ehe ihr eure Hemdzipfel aus den Jeans heraushängen laßt, denn Jill sagt,
das ist total aus der Mode». Wenn auf einer Reklametafel am Straßenrand
«Besichtigen Sie unseren Geschenkartikelladen» stand, dann mußten wir ihn
besichtigen, mußten wir indianisches Kunsthandwerk, Puppen, Kupferschmuck,
Kaktusbonbons kaufen. Die Worte «Novelties und Souvenirs» behexten sie
durch ihren bloßen trochäischen Silbenfall. Verkündete ein Café-Schild
«Eiskalte Getränke», fühlte sie sich automatisch angezogen, obgleich alle
Getränke überall eiskalt waren. Auf sie waren die Reklamen gemünzt: die
ideale Verbraucherin, Subjekt und Objekt jedes schwindelhaften Plakats.
- (
lo
)
Banalität(2)en aus dem Chinesischen
Fliegen haben kurze
Beine.
Eile ist des Witzes Weile.
Rote
Himbeeren sind rot.
Das Ende ist der Anfang jeden Endes.
Der
Anfang ist das Ende jeden Anfangs.
Banalität ist jeden Bürgers Zier.
Das Bürgertum ist aller Bürger Anfang.
Bürger haben kurze Fliegen.
Würze ist des Witzes Kürze.
Jede Frau
hat eine Schürze.
Jeder Anfang hat sein Ende.
Die Welt ist voll von klugen Leuten.
Kluge
ist dumm.
Nicht alles, was man Expressionismus nennt, ist Ausdruckskunst.
Kluge ist immer noch dumm.
Dumme ist klug.
Kluge
bleibt dumm.
Banalität (3)
Ein Rezensent in Warschau in Frankfurt ich korrigiere mich er verkauft lukrativ seine |
- Alfred Andersch, nach Tintenfaß 2, Zürich 1981