Blick, spürbarer    In der Küche legte er den Tintenfisch ins Spülbecken und ließ Wasser darüber laufen, um ihn vom Sand zu reinigen, dann klappte er auch hier die Fensterläden auf, ging ins Bad und desinfizierte die Schnittwunde sorgfältig mit Alkohol. Er fluchte vor Schmerz, denn es brannte höllisch. Schließlich klebte er ein Pflaster auf die Wunde. Jetzt brauchte er dringend einen Kaffee. Während er in der Küche die übliche Kanne Espresso aufsetzte, beschlich ihn ein ungutes Gefühl, das er sich nicht erklären konnte.

Er verlangsamte seine Bewegungen im Versuch, die Ursache zu ergründen.

Und plötzlich hatte er die untrügliche Gewissheit, dass zwei Augen auf ihn gerichtet waren. Jemand starrte ihn durch das Küchenfenster an. Jemand, der ihn stumm fixierte und deshalb bestimmt nichts Gutes im Sinn hatte.

Was sollte er machen?

Zunächst einmal musste er so tun, als hätte er nichts bemerkt. Er pfiff den Walzer aus der Lustigen Witwe, entzündete die Gasflamme und setzte die Espressokanne auf den Herd. Dabei spürte er die fremden Augen in seinem Nacken wie die Mündungen einer Doppelflinte. Aus Erfahrung wusste er, dass ein so starrer und bedrohlicher Blick nur tiefem Hass entspringen konnte. Da war jemand, der ihm nach dem Leben trachtete. Auf seiner Oberlippe bildeten sich Schweißperlen. Seine rechte Hand langte nach einem großen Küchenmesser und packte den Griff.

Wenn der Kerl vor dem Fenster bewaffnet war, würde er den Commissario in dem Moment erschießen, in dem er sich umdrehte.

Doch Montalbano blieb keine Wahl.

Er schnellte herum und warf sich gleichzeitig bäuchlings auf den Boden.

Der Aufprall schmerzte und ließ die Scheiben des Küchen-schranks und die Gläser darin klirren. Aber es fiel kein Schuss. Weil vor dem Fenster niemand stand. Was ja nichts heißen musste. Vielleicht verfügte der andere über gute Reflexe und hatte sich in dem Moment, als der Commissario sich umdrehte, blitzschnell weggeduckt. Bestimmt kauerte er jetzt unter dem Fenster und wartete auf Montalbanos nächsten Zug.

Der Commissario war mittlerweile klatschnass geschwitzt und klebte förmlich am Boden. Ohne den Himmelsausschnitt aus den Augen zu lassen, richtete er sich ganz langsam auf, bereit, sich mit einem Sprung aus dem Fenster auf seinen Gegner zu stürzen wie die Polizisten in amerikanischen Filmen. Als er endlich stand, schreckte ein Geräusch in seinem Rücken ihn derart auf, dass er wie ein scheuendes Pferd einen Satz nach vorn machte. Dann wurde ihm klar, dass es das Blubbern des durchlaufenden Espresso war. Er trat vorsichtig einen Schritt vor, und das Spülbecken geriet in sein Blickfeld. Das Blut stockte ihm in den Adern.

Mit den Tentakeln an der Marmorplatte neben dem Spülbecken festgeklammert, starrte ihn der Tintenfisch drohend an.   - Andrea Camilleri, Eine Stimme in der Nacht. Köln 2018

Blick Spüren

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