Autopsiebericht  Bei der Autopsie fanden wir hinter dem Chiasma einen deutlich fluktuierenden lividen Tumor. Sella turcica und Hypophyse waren normal, letztere schien nicht komprimiert zu sein, und die Durchschneidung des Hypophysenstiels hatte nicht das Abfließen der im Tumor enthaltenen Flüssigkeit zur Folge. Dieser selbst lag im interpedunkularen Raum und komprimierte seitlich die beiden Pedunculi cerebri, hinten die Corpora mamillaria und vorne das Chiasma mit den Tractus optici, deren mediale Partien deutlich abgeplattet erschienen.

An den Frontalschnitten der Hemisphären traten die Beziehungen der Geschwulst zu den Ventrikelwänden deutlich hervor.

Es erwies sich am Schnitt, daß die Geschwulst aus einer isolierbaren und vom Ependym deutlich geschiedenen Membran bestand, die eine mit dem Ventrikel nicht kommunizierende und durch Scheidewände gefächerte Höhle umschloß. Die so entstandenen sekundären Höhlen enthielten teils eine klare, teils eine deutlich hämor-rhagische Flüssigkeit. An der Basis dieser zystischen Geschwulst ist die Innenfläche der Membran mit unregelmäßigen harten Knötchen besetzt.

Eine von Mademoiselle Germaine Soyez vorgenommene Untersuchung klärte uns über die Natur des Tumors auf. Es handelt sich um einen zystischen Epitheltumor, der seinen Ausgang von der Auskleidung des 3. Ventrikels genommen hat. Die vorspringenden Knötchen bestehen aus Bindegewebe und lockerer Neuroglia, die in die subependymären Wandschichten übergeht. Letztere sind mit einem infiltrierend wachsenden Epithel ausgekleidet.

Dieser Tumor dehnt also den 3. Ventrikel aus und trennt die Sehbahnen voneinander, vor allem aber verdünnt er den Ventrikelboden, das Infudibulum und die Endplatte. Er läßt aber die Hypophyse völlig intakt, deren Körper nicht einmal eingedrückt erscheint. Die Seitenventrikel sind leicht ausgedehnt. Veränderungen der Gefäße oder der Meningen sind nirgends feststellbar.   - (mora)

Autopsiebericht (2)

Autopsiebericht (3)   Die Untersuchung der Thorax-Vorderseite ergibt lange Schnittwunden, vermutlich mit einer Klinge ausgeführt. Weitere Verletzungen dieser Art, die von demselben Instrument stammen, befinden sich auf den Schultern, den Armen ...«

Der Gerichtsmediziner trug einen Kittel aus zerknittertem Drillich und kleine runde Augengläser: Marc Costes war ein junger Mann mit scharfen Gesichtszügen und abwesendem Blick. Niemans hatte er auf Anhieb gefallen, denn er erkannte in ihm einen Fanatiker seines Fachs, einen Forscher, der jedem Problem auf den Grund ging, dem es wahrscheinlich noch an Erfahrung fehlte, doch gewiß nicht an Leidenschaft. In sachlichem Ton las er seinen Autopsiebericht vor:

»... Ferner zahlreiche Verbrennungen: auf der Vorder- und Rückseite des Rumpfes, an Schultern, den Seiten, den Armen. Es sind etwa fünfundzwanzig Verletzungen dieser Art zu zählen, von denen viele die oben beschriebenen Schnittwunden überlagern ...«

»Was heißt das?« unterbrach ihn Niémans. Der Mediziner blickte ihn über den Rand der Brille hinweg verlegen an. »Ich denke, der Mörder hat die Wunden ausgebrannt. Es sieht so aus, als hätte er die Schnittwunden mit Benzin benetzt - möglicherweise mit Hilfe eines Zerstäubers, denn die Verbrennungen sind einerseits großflächig, andererseits betreffen sie nur die Epidermis - die Oberhaut«, fügte er mit einem Blick auf seine Zuhörer hinzu. »Es muß also ein ziemlich feiner Benzinnebel über der Haut gewesen sein, der dann in Brand gesteckt wurde.«

Niémans spürte, wie ihm der kalte Schweiß über den Rücken rann. Wieder durchmaß er mit großen Schritten den Seminarraum im ersten Stock des Psychologie- und Soziologiegebäudes, in dem er sein Hauptquartier eingerichtet hatte. In dieses bescheidene Zimmer hatte er den Pathologen zur Unterredung gebeten. Hauptmann Barnes und Leutnant Joisneau waren ebenfalls anwesend und saßen brav auf ihren Studentenstühlen. »Fahren Sie fort«, befahl er.

»... Auch sind zahlreiche Hämatome, Ödeme, Brüche festzustellen. Allein der Rumpf weist achtzehn Hämatome auf. Vier Rippen sind gebrochen, die beiden Schlüsselbeine zertrümmert. Auch an anderen Körperteilen finden sich Spuren von Schlägen. Drei Finger der linken und zwei der rechten Hand sind zermalmt. Die Genitalien sind infolge von Schlägen blutunterlaufen. Die verwendete Waffe ist vermutlich eine Eisen- oder Bleistange von etwa sieben Zentimetern Durchmesser. Natürlich sind auch Verletzungen festzustellen, die beim späteren Transport der Leiche und ihrer Unterbringung in der Felsspalte verursacht wurden, Ödeme jedoch reagieren posf mortem anders ...«

Niémans warf einen kurzen Blick auf die Zuhörer: ausweichende Blicke und feucht glänzende Schläfen.

»... Der obere Teil des Körpers: Gesicht unversehrt. Der Nacken weist keine sichtbaren Quetschungen auf...«

»Keine Schläge ins Gesicht?« fragte Niemans.

»Nein. Offensichtlich hat der Mörder das Gesicht sogar absichtlich verschont.«

Costes senkte den Blick wieder auf seinen Bericht und wollte weiterlesen, doch Niemans unterbrach ihn erneut.

»Moment, bitte. Ich nehme an, das geht noch ziemlich lang so weiter.«

Der Arzt blinzelte nervös und blätterte in seinem Bericht. »Schon noch ein paar Seiten, ja ...«  - Jean-Christophe Grangé, Die purpurnen Flüsse. Berlin 2011  (zuerst 1998)

 

Autopsie Bericht

 

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