utopsie   Der Arzt entpuppte sich als ein dicker, wichtigtuerischer Mann, der über den zertrümmerten Kopf der armen Vera Findlater hinweg fortwährend bedauernde Zischlaute von sich gab, als handelte es sich um einen Anfall von Masern oder selbstverschuldeter Gicht.

»Tz — tz — tz! Schrecklich, schrecklich! Wie mögen wir nur dazu gekommen sein? Tz — tz! Leben ausgeblasen, wie? Oh, schon seit mehreren Tagen, wissen Sie. Herrgott, wie schrecklich für die armen Eltern! Und die Schwestern! Sehr nette Mädchen. Sie kennen sie doch, Sir Charles? Jaja, tz — tz!«
»Es besteht wohl kein Zweifel«, fragte Parker, »daß es Fräulein Findlater ist?«

»Nicht der geringste«, sagte Sir Charles.

»Nun, da Sie sie identifizieren können, wird es möglich sein, ihren Verwandten den Anblick zu ersparen. Nur einen Augenblick, Doktor — der Fotograf muß die Lage des Körpers aufnehmen, ehe Sie ihn bewegen. Herr Andrews, haben Sie schon Aufnahmen gemacht? Nein? — Sie dürfen sich nicht aus der Fassung bringen lassen — ich weiß, es ist recht unangenehm. Eine von hier, bitte, um die Lage des Körpers zu zeigen — dann von oben, vom Rand der Mulde — so ist's recht —, dann eine von der Wunde selbst, ganz nah, bitte. So, danke. Jetzt, Doktor, können Sie sie umwenden — es tut mir leid, Herr Andrews — ich kann mir genau vorstellen, was Sie empfinden, aber diese Dinge müssen eben getan werden. Hallo! Seh'n Sie, wie ihre Arme zerkratzt sind! Sieht aus, als hätte sie sich gewehrt. Am rechten Handgelenk und linken Ellbogen — als hätte jemand versucht, sie niederzuhalten. Auch davon eine Aufnahme, bitte, Herr Andrews — sie mögen wichtig sein. Sagen Sie mal, Doktor, was halten Sie von diesen Spuren im Gesicht?«

Der Arzt sah aus, als zöge er vor, das Gesicht überhaupt nicht anzusehen. Jedoch mit vielen »Tz — tz — tz« rang er sich endlich ein Urteil ab.

»Soviel man in Anbetracht der Veränderungen .nach dem Tod sagen kann, sieht es aus, als wären die Partien um Nase und Lippen aufgeschürft oder angesengt worden. Jedoch auf Nasenrücken, Hals und Stirn ist nichts zu sehen, sonst würde ich feie einem starken Sonnenbrand zuschreiben.« kUnd Verbrennungen durch Chloroform?« meinte Parker.
»Tz — tz«, machte der Arzt, ärgerlich, daß ihm das nicht selbst (eingefallen war. »Wenn Ihr Herren von der Polizei nur nicht gar so vorschnell wärt! Alles soll in solcher Hast entschieden werden. Ich war gerade im Begriff zu bemerken — wenn Sie mir nicht zuvorgekommen wären und es sich nicht einem Sonnenbrand zuschreiben ließe —, daß es eine solche Möglichkeit gibt. Ich kann unmöglich sagen, daß es die Wirkung von Chloroform ist — medizinische Urteile dieser Art dürfen nicht ohne gründlichste Untersuchung abgegeben werden — aber ich wollte bemerken, daß es so sein könnte.«

»Dann«, warf Wimsey ein, »könnte sie an der Wirkung des Chloroforms gestorben sein? Wenn sie zuviel bekam oder ein schwaches Herz hatte?«

»Mein lieber Herr«, sagte der Arzt, diesmal tief beleidigt, »sehen Sie sich einmal den Kopfhieb an und fragen Sie sich, ob es nötig  ist,  da  nach  einer  anderen  Todesursache  zu  suchen. Außerdem, wenn sie an Chloroform gestorben wäre, wo lag die Notwendigkeit eines Schlages auf den Kopf- Dorothy Sayers, Eines unnatürlichen Todes. München u.a. 1977

Autopsie (2)  Die Leichenöffnungen können diejenigen Fehler nicht entdecken, die mit dem Tode aufhören.  - Lichtenberg

Autopsie (3)  - »Oh, sehr schön!« sagte Dr. Horner anerkennend, als die Leiche aus dem Sarg gehoben und auf den Tisch gelegt wurde. »Ausgezeichnet! Da werden wir keine Schererereien mit haben. Am besten fangen wir gleich an. Was sagten Sie, wann ist er beerdigt worden? Vor drei oder vier Wochen? Er sieht gar nicht danach aus. Möchten Sie die Autopsie übernehmen, oder soll ich es tun? Ganz wie Sie -wollen. Gut! Wo habe ich meine Tasche hingestellt? Oh, danke, Sir . . .« Es entstand eine peinliche Pause, in der sich George Fentiman verdrückte, um draußen zu rauchen. »Zweifellos Herzaffektion! Natürlich! Ich kann nichts Ungewöhnliches entdecken, Sie etwa?... Nach dem Stand der Dinge holen wir am besten erst mal den Magen heraus . . . Würden Sie mir wohl den Darm in die Hand geben? Danke. Halten Sie doch mal hier fest, während ich abbinde. Tja! Die Behälter stehen direkt hinter Ihnen. Danke. Passen Sie auf, sonst werden Sie vollgespritzt. Ha, ha! Das ging gerade noch gut. Nein, die Leber brauche ich nicht ganz - nur ein Stück davon -reine Formsache. Auch etwas von allem übrigen - ja. Da wir gerade dabei sind, sollten wir uns eigentlich auch noch das Gehirn ansehen. Haben Sie .die große Säge zur Hand?«   - Dorothy Sayers, Es geschah im Bellona-Klub. München ca. 1960 (zuerst ca. 1930)

Autopsie (4)

 

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