utofahren Er konnte fahren, wohin er wollte, er konnte tun, wozu er Lust halte, und es würde keinen Menschen auf der Welt interessieren. Solange er nicht umkehrte, könnte er ebensogut unsichtbar sein.
Er fuhr sieben Stunden durch, legte eine kurze Tankpause ein und fuhr dann
noch einmal sechs Stunden weiter, bis ihn die Erschöpfung übermannte. Inzwischen
war er im Norden von Zentral-Wyoming, und die Morgendämmerung begann über den
Horizont zu steigen. Er nahm sich ein Zimmer in einem Motel, schlief acht oder
neun Stunden am Stück, ging dann in den Imbiß nebenan und verdrückte ein Steak
mit Eiern von der 24-Stunden-Frühstückskarte. Am Spätnachmittag saß er wieder
im Auto, und erneut fuhr er die ganze Nacht hindurch, bis er halb New Mexico
durchquert hatte. Nach dieser zweiten Nacht wurde Nashc klar, daß er keine Kontrolle
mehr über sich hatte, daß er in die Gewalt einer rätselhaften, überwältigenden
Macht geraten war. Einem verschrecklen Tier gleich torkelte er blindlings von
einem Nirgendwo ins nächste, aber so oft er auch beschloß aufzuhören, er konnte
sich nicht dazu überwinden. Jeden Morgen beim Schlafengehen sagte er sich, jetzt
sei es genug, jetzt sei Schluß damit, und jeden Nachmittag erwachte er mit demselben
Verlangen, demselben unwiderstehlichen Drang, in den Wagen zurückzukriechen.
Er wollte diese Einsamkeit wiederhaben, dieses nächtelange Rasen durch die Leere,
diese Vibration der Straße an seiner Haut. Er machte die ganzen zwei Wochen
nicht halt, und jeden Tag trieb er sich ein bißchen weiter, jeden Tag versuchte
er ein wenig länger zu fahren als am Tag zuvor. Er durchfuhr den gesamten Westen
des Landes, im Zickzack kreuz und quer von Oregon bis nach Texas, jagte über
die ungeheuren leeren Highways von Arizona, Montana und Utah, aber er sah sich
nichts an und kümmerte sich nicht darum, wo er war, und abgesehen von dem einen
oder anderen Satz, den er aufsagen mußte, wenn er tankte oder Essen bestellte,
gab er kein einziges Wort von sich. Als Nashe schließlich nach Boston zurückkehrte,
glaubte er sich am Rand eines Nervenzusammen-bruchs, aber das kam nur daher,
daß er sich keine andere Erklärung denken konnte für das, was er getan hatte.
Wie er am Ende herausfand, war die Wahrheit weit weniger dramatisch. Er schämte
sich einfach, es so sehr genossen zu haben. - Paul Auster, Die Musik des Zufalls. Reinbek bei
Hamburg 1996
Autofahren (2)
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