utobiographie
Es ist mir unerträglich gewesen, die Anzahl der Kapitel meiner Romane
dem Zufall zu überlassen. So setzt sich Le Chiendent
aus 91 (7 x 13) Abschnitten zusammen, wobei 91 die Summe der dreizehn ersten
Zahlen und ihre »Quersumme« wiederum l ist, so daß es also sowohl die Zahl vom
Tod der Seienden als auch die ihrer Rückkehr zum Dasein ist, einer Rückkehr,
in der ich damals nur die unlösbare Fortdauer des hoffnungslosen Unglücks
sah. Zu jener Zeit sah ich in der 15 eine wohltuende Zahl, weil sie das Glück
verneinte, die 7 hingegen hielt ich und halte sie immer noch für das zahlenmäßige
Abbild meiner selbst, da sich mein Name sowie meine beiden Vornamen aus je sieben
Buchstaben zusammensetzen und ich an einem 21. (7 x 3) geboren bin. Obgleich
dem Anschein nach nicht autobiographisch, wurde die Form des Romans doch durch
ganz egozentrische Motive festgelegt; sie drückte somit das aus, was der Inhalt
zu verbergen glaubte.
Ebenso veranlaßten mich rein persönliche Gründe, für den Roman Gueule
de Pierre das Tierkreiszeichen der Fische zu wählen:
ich bin unter diesem Zeichen geboren. Wie ich schon weiter oben geschrieben
habe, ist dieser Roman nicht geschlossen, wie Le Chiendent, sondern um
den gesamten ontologischen Winkel geöffnet, der die Tierkreiszeichen von den
Sternbildern trennt, da die Identifikation des Mördersohns mit dem Vater keine
vollständige Identifikation ist. Es ist, wie man in meiner Heimat sagt, eine
Identifikation, die, ohne eine zu sein, doch eine ist.
Was Les derniers jours betrifft, so ist hier das autobiographische
Element so deutlich, daß der zahlenmäßige Ausdruck einen Anspruch auf größere
Objektivität erheben kann. Seine Zahl ist die 49 (7x7 oder eher noch 6x8+1).
- Raymond Queneau, Striche, Zeichen und Buchstaben.
München 1990 (zuerst 1950)
Autobiographie (2) Wir wollten die Keimzelle
einer anglo-maltesischen Dichterschule sein - der »Gruppe 37«. Diese Gewißheit
auf Erfolg der ersten Semester war allerdings Anlaß zu Besorgnissen,
hauptsächlich wegen der Autobiographie, der Apologia
pro vita sua, die der Dichter eines Tages zu schreiben hat. Wie, so überlegten
wir uns: wie kann ein Mann sein Leben beschreiben, wenn er sich des Zeitpunkts
seines Todes nicht sicher ist? Eine beklemmende Frage. Wer hätte sagen können,
welche poetische Herkuleskraft er noch in den Jahren zwischen einer vorzeitigen
Apologie und seinem Tod an den Tag legen könnte? Werke, die so großartig waren,
daß sie die Wirkung der Apologie selbst aufheben würden. Und wenn andererseits
Jn zehn oder zwanzig Jahren der Stagnation nichts zuwege gebracht wird - wie
ärgerlich erscheint einem Jungen doch die Mittelmäßigkeit.
- (v)