Autobahn  Die Niedermetzelung-der-Rebellen ist an der Autobahn, als bewegtes Tableau und gut fotografierbar,    so aufgebaut:    Es ist eine Felsengasse, in der,    wie es in dem Begleit-Text heißt,    die Aufständischen    »ihren zwar verdienten, aber doch schauderhaften Tod« finden.    Ein langer, gewundener  Gang,    auf beiden Seiten von Felsen und hohen Mauern umgeben,    in dem ein abschüssiges, glattes Steinpflaster den Berg hinunterführt.    Die Tore vor und hinter den Opfern sind schon geschlossen.    Die Opfer,    auf ihren schweren Motorrädern in dem engen Raum dicht zusammengedrängt,    im Gedröhn der Motoren, - ohne eine Ahnung von dem, was ihnen bevorsteht; - während schon alle Felsenvorsprünge und die Galerien der Mauern von Uniformierten besetzt sind!    Plötzlich richten sich alle Gewehre auf die Schar,    die Schüsse schmettern sie nieder,    weder Rettung   noch Verteidigung noch Rache ist möglich!    Das Rasen der umgestürzten Maschinen,    das Geschrei der Fallenden,    die Opfer, die sich in Benzin und Flammen wälzen, und die sich im Tod noch an ihre Maschinen klammern,    - dies alles ist, in furchterregenden Farben und vor düsterem Hintergrund,    animatronisch in Szene gesetzt! - »Mut kennet auch der Mameluck!«;    Plattenmann zitiert Schiller, zu Katharina hin.     - Walter Höllerer, Die Elephantenuhr. Vom Autor gekürzte Ausgabe. Frankfurt am Main 1975 (st 266)

Autobahn (2)  Klar, es konnte ja nicht sein, daß wir uns als einzige für diese andere Autobahn interessieren, die uns nach und nach in ihre Geheimnisse eindringen läßt, die uns liebgewinnt, so wie wir sie allmählich liebgewinnen, und so nehmen wir mit wenig Lärm und ohne Gewalt Besitz von ihren Wegen, Pfaden und versteckten Winkeln, und das ist ähnlich, wie wenn man im Bett Zug um Zug von einem geliebten Wesen Besitz ergreift, mit Zärtlichkeiten und Blicken und Geflüster, die sich nach und nach als Türen und Fenster erweisen, hinter denen immer andere, noch süßere, noch schönere sind, und am Ende weiß niemand, wer die Tür öffnet, wer das Fenster ist oder wer wen In den Armen hält. So ist es auch mit der Autobahn: Wir wissen, daß sie in vielerlei Hinsicht nicht das ist, was wir vorher dachten. Autos, Lastwagen, Ambulanzen rasen mit erstaunlicher Geschmeidigkeit vorbei, doch man braucht nur genau hinzusehen, um festzustellen, daß sie manchmal gar keine Räder haben und daß sie nicht über die Autobahn fahren, wie etwa ein Fuß über den Boden geht und das Beschrittene hinter sich läßt. Nein, das ist zugleich Autobahn, Asphalt und Fahrzeuge, ein einziges Wesen, das atmet und sich vorwärtsbewegt; manchmal durchbricht der eine oder andere seiner Bestandteile den Rhythmus, verläßt den Hauptorganismus., schert seitlich mit einer genau berechneten Bewegung aus, damit weder das Gleichgewicht des Ganzen gestört noch ein anderer Teil dieses sich mit dem Tosen und der Kadenz der Brandungswellen voranbewegenden Lebewesens verletzt wird, und bleibt auf einem Parkplatz stehen, und aus dieser Entscheidung -die sicher nicht immer leicht ist, denn mir scheint, daß dieses lebendige Ding, das sich nun schon seit fünf Tagen unaufhörlich an uns vorbeibewegt, seine Kraft aus der Fähigkeit zieht, alle zu hypnotisieren und auf der Autobahn festzuhalten - ergibt sich eine Art Neuschöpfung derer, die sachte anhalten, menschliche Gestalt annehmen, zu Fuß gehen, sich von der Maschine lösen, die bis zu diesem Augenblick sie war.  - Julio Cortázar, Carol Dunlop: Die Autonauten auf der Kosmobahn. Frankfurt am Main 2014 (BS 2481, zuerst 1983)

Autobahn (3)  «Fahren Sie über die I-95 nach Miami?»

«Das hatte ich vor.»

«Da unten hat's ein paar Fälle von Straßenraub gegeben, wissen Sie. Die schmeißen 'ne Matratze oder 'nen Sprungrahmen auf die Ausfahrt, und wenn Sie dann anhalten, donnert ein anderer Ihnen einen Betonklotz durch die Windschutzscheibe und raubt Sie aus. Das hat in der Zeitung gestanden. Sie sollten sich also ein Stemmeisen auf den Beifahrersitz legen; dann können Sie dem Kerl die Finger abhacken, wenn er reinlangt, um Ihnen Uhr und Brieftasche abzunehmen.»

Stanley schaute in den Kofferraum, aber da war kein Stemmeisen. Sneider holte eines aus der Werkstatt und gab es ihm.

«Ich leih's Ihnen, Dad. Sie könn's mir wiedergeben, wenn Sie zurückkommen. Aber ich an Ihrer Stelle würde mich auf der I-95 auf der mittleren Spur halten und die Türen verriegeln. Wenn ich hin und wieder mit meinem Abschleppwagen nach Miami runterfahre, um Ersatzteile zu holen, dann hab ich 'ne Flinte mit Vogelschrot dabei. Ich will niemanden umbringen, aber die meisten dieser Räuber werden's mit der Angst bekommen, wenn sie 'ne Ladung Vogelschrot ins Gesicht kriegen.»   - Charles Willeford, Seitenhieb. Reinbek bei Hamburg 1996

Autobahn (4)  Die Augusthitze nahm um diese Zeit in der Höhe der Reifen noch zu, so daß das Festgehaltenwerden immer mehr an die Nerven ging. Das Ganze war Benzingeruch, unbeherrschtes Geschrei der jungen Männer in dem Simca, Sonnenstrahlen, die auf den Scheiben und Chromteilen lagen, und schier unerträglich wurde es bei dem Gedanken, in einem Dschungel von Maschinen eingeschlossen zu sein, die für schnelles Fahren bestimmt waren. Der 404 des Ingenieurs nahm, vom Trennstreifen der beiden Fahrbahnen gerechnet, den zweiten Platz auf der rechten Bahn ein, so daß er etliche andere Wagen zur Rechten und sieben zur Linken hatte, obschon er in Wahrheit nur acht genau unterscheiden konnte, mitsamt ihren Insassen, die er sich alle bis zum Überdruß bereits angesehen hatte. Mit jedem von ihnen hatte er gesprochen, außer mit den Burschen in dem Simca, die ihm unsympathisch waren; nach jeder zurückgelegten Strecke war die Lage ausführlich diskutiert worden, und allgemein hatte man den Eindruck, bis Corbeil-Essonnes komme man schrittweise oder doch beinah voran, aber zwischen Corbeil und Juvisy würde man beschleunigen können, sobald es den Hubschraubern und den Motorrädern gelungen war, den dichtesten Stau auseinanderzuziehen. Niemand zweifelte, daß sich auf dieser Strecke ein schwerer Unfall ereignet hatte, denn wie sonst sollte man sich eine so unglaubliche Einschränkung der Fahrt erklären. Dann kam die Rede auf die Regierung, die Hitze, die Steuern, die Straßenverhältnisse, ein Thema folgte dem anderen, drei Meter, und wieder ein allgemein interessierendes Gespräch, fünf Meter, und ein belehrender Satz oder eine gemäßigte Verwünschung.

Für die beiden kleinen Nonnen in dem 2 CV wäre es so wichtig gewesen, noch vor acht Uhr in Milly-la-Föret zu sein, denn sie hatten einen Korb voll Gemüse für die Köchin im Wagen. Das Ehepaar in dem Peugeot 203 wollte auf keinen Fall das Fernsehspiel um neun Uhr dreißig verpassen. Das Mädchen in dem Dau-phine hatte zu dem Ingenieur gesagt, ihr sei es egal, wann sie in Paris eintreffe, aber sie schimpfe aus Prinzip, denn für sie sei es ein Gewaltakt, Tausende Menschen zur Lebensweise einer Kamelkarawane zu verurteilen. In den letzten Stunden (es mußte fast fünf Uhr sein, aber noch immer war die Hitze unerträglich) war man nach Meinung des Ingenieurs an die fünfzig Meter weitergefahren, aber einer der Männer aus dem Taunus, der mit dem Kind und dem kleinen Auto an der Hand zu ihnen herüberkam, um zu plaudern, wies spöttisch auf die Krone einer einsamen Platane, und das Mädchen in dem Dauphine erinnerte sich jetzt, daß die Platane (falls es keine Kastanie war) auf einer Höhe mit ihrem Auto gewesen war, und zwar so lange, daß es die Mühe nicht mehr gelohnt hatte, auf die Armbanduhr zu blicken und nutzlose Berechnungen anzustellen.

Der Abend schien nie zu kommen. Das Sonnenflimmern auf der Fahrbahn und den Karosserien steigerte das Schwindelgefühl bis zum Erbrechen. - Julio  Cortázar, Südliche Autobahn. Die Erzählungen Band 2. Frankfurt am Main 1998

 

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