usweg   Ich vermisse immer mehr das schöne netz der überraschungen und die wärme von menschen. Mir ist, als stünden mir wohl zwei auswege offen, keiner aber durchs hinterfenster, keiner des blauen abenteuers, keiner am nußbaum vorbei und hinaus in die freie weit. Was ich auch beginne, es ist doch von allem anfang an schlecht getan. Gran Sasso des blödsinns: Meine ganzen auswege sind mausefallen, ich bin mir selbst ein erbauer von mausefallen. Die gelingen mir absolut! Wie äußerst beschissen, daran denken zu müssen, daß sonne und laub an den bäumen eben noch jünger waren, daß ich gestern noch, einsam wie ein landmann, die schatten tiefer vogelflüge vernahm, mit gutem gewissen in den starken pechduft der wälder trat, mir in neuberegneten ackerfeldern das erste grün als farbe aussuchte und den habicht bewunderte, wenn er durch den weißen atem meiner morgenfrühe kam. Ich baue mir tatsächlich jeden tag eine neue mausefalle. - (hca)

Ausweg (2) Da war einer und der hatte einen abscheulichen riesen erschlagen und darum ging er zu einem baum hin und pflückte von ihm blätter ab und legte sie eins ums andere auf die frischroten wunden des ungeheuers damit nicht etwan die vögel des waldes darüber kämen; und sie begannen an dem gerinnenden blute festzukleben und wurden tiefschwarz wie kohle denn das blut der riesen ist von einer besonderen chemischen eigenart, über die wir jedoch nichts wissen und die vögel blieben weiterhin in ihrem flug und verschonten den leib des gefällten und bald versank die abendsonne und der mond kam herauf und fing an prächtig und traurig zu glänzen und es war alles wie in einem lied und da ein wind in den zweigen zu rauschen begann fühlte der bezwinger des riesen mit einem mal, daß er ganz allein auf dieser verdämmerten waldlichtung stand und er machte sich auf um einen weg zu finden der ihn aus dieser wildnis führte aber der führte ihn zu der tochter des getödteten Unholds und die ist sehr schön.  - (hus)

Ausweg (3)  Ich war zum erstenmal in meinem Leben ohne Ausweg; zumindest geradeaus ging es nicht; geradeaus vor mir war die Kiste, Brett fest an Brett gefügt. Zwar war zwischen den Brettern eine durchlaufende Lücke, die ich, als ich sie zuerst entdeckte, mit dem glückseligen Heulen des Unverstandes begrüßte, aber diese Lücke reichte bei weitem nicht einmal zum Druchstecken des Schwanzes aus und war mit aller Affenkraft nicht zu verbreitern.

Ich soll, wie man mir später sagte, ungewöhnlich wenig Lärm gemacht haben, woraus man schloß, daß ich entweder bald eingehen müsse oder daß ich, falls es mir gelingt, die erste kritische Zeit zu überleben, sehr dressurfähig sein werde. Ich überlebte diese Zeit. Dumpfes Schluchzen, schmerzhaftes Flöhesuchen, müdes Lecken einer Kokosnuß, Beklopfen der Kistenwand mit dem Schädel, Zungen-Blecken, wenn mir jemand nahekam, — das waren die ersten Beschäftigungen in dem neuen Leben. In alledem aber doch nur das eine Gefühl: kein Ausweg. Ich kann natürlich das damals affenmäßig Gefühlte heute nur mit Menschenworten nachzeichnen und verzeichne es infolgedessen, aber wenn ich auch die alte Affenwahrheit nicht mehr erreichen kann, wenigstens in der Richtung meiner Schilderung liegt sie, daran ist kein Zweifel.

Ich hatte doch so viele Auswege bisher gehabt und nun keinen mehr. Ich war festgerannt. Hätte man mich angenagelt, meine Freizügigkeit wäre dadurch nicht kleiner geworden. Warum das? Kratz dir das Fleisch zwischen den Fußzehen auf, du wirst den Grund nicht finden. Drück dich hinten gegen die Gitterstange, bis sie dich fast zweiteilt, du wirst den Grund nicht finden. Ich hatte keinen Ausweg, mußte mir ihn aber verschaffen, denn ohne ihn konnte ich nicht leben. Immer an dieser Kistenwand — ich wäre unweigerlich verreckt. Aber Affen gehören bei Hagenbeck an die Kistenwand — nun, so hörte ich auf, Affe zu sein. Ein klarer, schöner Gedankengang, den ich irgendwie mit dem Bauch ausgeheckt haben muß, denn Affen denken mit dem Bauch.

Ich habe Angst, daß man nicht genau versteht, was ich unter Ausweg verstehe. Ich gebrauche das Wort in seinem gewöhnlichsten und vollsten Sinn. Ich sage absichtlich nicht Freiheit. Ich meine nicht dieses große Gefühl der Freiheit nach allen Seiten. Als Affe kannte ich es vielleicht und ich habe Menschen kennen gelernt, die sich danach sehnen. Was mich aber anlangt, verlangte ich Freiheit weder damals noch heute. Nebenbei: mit Freiheit betrügt man sich unter Menschen allzuoft. Und so wie die Freiheit zu den erhabensten Gefühlen zählt, so auch die entsprechende Täuschung zu den erhabensten. Oft habe ich in den Varietes vor meinem Auftreten irgendein Künstlerpaar oben an der Decke an Trapezen hantieren sehen. Sie schwangen sich, sie schaukelten, sie sprangen, sie schwebten einander in die Arme, einer trug den anderen an den Haaren mit dem Gebiß. »Auch das ist Menschenfreiheit«, dachte ich, »selbstherrliche Bewegung.« Du Verspottung der heiligen Natur! Kein Bau würde standhalten vor dem Gelächter des Affentums bei diesem Anblick.  - (kaf)

Ausweg (4)   Gegen Ehefrauen, die einen unsittlichen Lebenswandel führten und gegen die kein öffentlicher Ankläger auftrat, erließ Tiberius die Verordnung, die Verwandten sollten nach alter guter Vätersitte hier durch einen Familienrat einschreiten. Einen römischen Ritter, der seiner Frau bei der Verheiratung geschworen hatte, er werde sie nie verstoßen, entband er von seinem Eid, damit er sich von der Frau, die er beim Ehebruch mit seinem Schwiegersohn ertappt hatte, scheiden lassen konnte. Lasterhafte Frauen von Rang waren, um den gesetzlichen Strafen zu entgehen, darauf verfallen, sich als Dirnen bei der Behörde zu melden.  - (sue)

Ausweg (5) Die Arina lebte als Zimmermädchen bei der Vordertreppe, der Serjoga bei der hinteren als zweiter Hausknecht. Sie hatten was miteinander, die beiden. Zur Herrenfastnacht gebar die Arina dem Serjoga ein Zwillingspaar. Das Wasser strömt, das Sternlein glänzt, die Kerls sind geil. Arina kam neuerlich in Umständ, war rasch im sechsten Monat — rasch vergehen sie bei den Frauensleuten, die Monate. Und der Serjoga mußte unter die Soldaten, das war's. Da knöpft sich Arina ihn vor:

»Auf dich warten, Serjoga, verlohnt mir nicht. Vier Jahr wern wir ausnander sein, derweil kann ich gut und gern drei Kinder kriegen. Dien ich in den Zimmern, muß ich den Rock heben. Wer kommt, is Herr, ob Jude oder sonstwer. Wenn deine Zeit um is, dann is mein Schoß müd, 'ne verbrauchte Frau bin ich. Kann ich's dann noch aufnehmen mit dir?«

»Stimmt schon.«   Serjoga wiegte den Kopf.

»Freier gibt's schon hier: Der Trofimytsch ist da, der Lieferant — 'n schlimmer Grobian, und dann der alte Issai Abramytsch, Kirchenältester von Sankt Nikolai, 'n schwächliches Männlein, aber ihr mit eurer mörderischen Kraft, ihr habt mir ja die Seele aus dem Leib gestoßen, wie im

Beichtstuhl red ich, alle Kräfte habt ihr mir ausgesaugt. Heut über drei Monate komm ich in die Wochen, bring das Kleine ins Findelhaus und heirat einen von denen.«

Serjoga hörte sich's an, schnallte den Riemen ab und zog ihn Arina über, erpicht, ihr wacker den Bauch zu geißeln.

»Du«, sagte ihm da die Frau, »hau nicht so sehr auf den Bauch, hast ihn ja selbst gefüllt, du und kein Fremder.«

Da wurde gehauen und gegeißelt, da flössen Männertränen, da floß Weiberblut, allein, es zeigte sich kein Lichtstrahl, kein Ausweg. Ging da die Frau zu Jesus Christus und sprach:

»So und so ist das, Herr Jesus. Ich bin die Arina, Zimmermädchen im >Madrid und Louvre<, was auf der Twerskaja is. Dien in den Zimmern, muß den Rock heben. Wer kommt, is Herr, ob Jude oder sonstwer. Wandelt auf Erden dein Sklave, der zweite Hausknecht Serjoga. Hab ihm voriges Jahr zur Herrenfastnacht Zwillinge geboren . . .«

Alles hat sie dem Herrn genau ausgemalt.

»Wenn nun der Serjoga gar nicht erst unter die Soldaten ginge?« sinnierte der Erlöser.

»Da wird ihn wohl der Revierpolizeier hinschleppen.«

»Ja, der Revierpolizeier . . .« Der Heiland senkte sein Haupt. »An ihn habe ich nicht gedacht. Doch höre, und wenn du nun so lange in Keuschheit lebtest?«

»Vier Jahre lang?« antwortete die Frau. »Wenn's nach dir ging, müßten die Leut alle ihr Liebeszeug verkümmern lassen, dir ist's ja altgewohnt, aber wo solln die Menschen dann herkommen? Gib mir 'n vernünftigen Rat.« - (babel)

Ausweg (6)  In Pompeji begann es mit dem leisen Aschenregen, den man abschütteln konnte; dann fielen die Lapilli, dann waren Bimssteinstücke von vielen Kilogramm dabei. Langsam nur wurde die Größe der Gefahr offenbar. Da aber war es zu spät. Schwefeldämpfe sanken herab, krochen in Fugen und Ritzen, wölkten unters Tuch, das sich die schwer und schwerer atmenden Menschen vors Gesicht schlugen. Rannten sie hinaus, Freiheit und Luft zu gewinnen, schlugen ihnen die Lapilli so dicht auf die Köpfe, daß sie entsetzt zurückwichen. Kaum hatten sie wieder das Haus gewonnen, da brach die Decke zusammen und begrub sie. Einige wurden kurze Zeit verschont. Unter Treppenpfeilern und Bogengängen hockten sie für eine bange halbe Stunde. Dann krochen die Schwefeldämpfe heran und erstickten auch sie. - C. W. Ceram, Götter Gräber und Gelehrte. Reinbek bei Hamburg 2000 (zuerst 1949)

Ausweg (7) »Nichts Schlimmeres als Prinzipien. Wie alle anderen Kriminellen sind Sie von einer Kraft getrieben, die Sie nicht kennen. Sie ist alles andere als ererbt. Und die Umgebung, durch die Sie gingen, hat ihr einfach nur freien Lauf gelassen. Zum Dieb ist man berufen

»Mag sein. Ich stehle, weil ich nicht reich genug bin, um nach Lust und Laune leben zu können, und weil ich leben möchte, wie es mir paßt. Ich lasse mir keinerlei Joch gefallen, auch nicht das des Schicksals.«

»Nehmen Sie sich in acht! Wenn Sie jeder Beherrschung ausweichen, verurteilen Sie sich zum Objekt aller wechselnden Einflüsse.«

»Das ist mir gleich. Außerdem macht mir das Stehlen Spaß.«

»Das nenne ich einen Grund. Man kann sich in alles ehrlich, und ich möchte sagen, mit Genuß verlieben, sogar in den Spaß am Verbrechen.«

»Sie haben sicher nicht ganz unrecht, wenn Sie von der Berufung des Diebes reden. Ich glaube fast, auch wenn ich reich wäre, hätte ich zu nichts Lust gehabt, oder höchstens zum Unmöglichen.«

»Sie wären ein Einzelgänger oder ein Wüstling geworden, denn Sie sind ein Individuum; sind Sie aber arm, dann heißt das in der Sprache des Gesetzes: Sie sind ein Übeltäter! In einer Gesellschaft, in der alle Unternehmungslust und jeder Appetit von vornherein mitgeregelt sind, ist das Verbrechen jeder Art, vom Laster bis zur Revolte, die einzige Ausweichmöglichkeit. Das Gesetz gesteht sie den umtriebigen Kräften stillschweigend zu, die in dem geplanten Mechanismus der Gesellschaftsmaschinerie keine Verwendung finden können und denen die Armut verbietet, sich auf ihr Ich zurückzuziehen. Sie hätten wer weiß was anfangen können, man hätte Ihnen auf der Stelle Charakter zugebilligt, und Sie wären verloren gewesen.«  - Georges Darien, Der Dieb. Nördlingen 1989 (Die Andere Bibliothek 54, zuerst 1897)

Ausweg (8)

Weg Richtung Problemlösung
Oberbegriffe
zurück 

.. im Thesaurus ...

weiter im Text 
Unterbegriffe
Verwandte Begriffe
Sackgasse
Synonyme