usschleimen
Das, was du hörst, ist eben die Stimme
des Schläfrigen, der die Desorientierung
des Schlafs erfährt. Also: ein Akzidens des Schlafs
klingt in der Desorientierung an. Horch. Dieser zerhackte Atem ist nicht eigentlich
ein Geräusch, aber auch kein tierisches Winseln
und ganz gewiß kein engelgleicher Klang. Du hörst jetzt eine gebrochene, betrübte
Stimme - etwas, das dir ähnelt - aber dann plötzlich eine Pause, eine Zäsur,
eine aufgeweichte Stille, nicht lautlos - etwas
Neues, nicht wahr? Es schleimt etwas aus, das eine Stimme sein könnte. Es schleppt
sich hin. Ein Stöhnen. Aber das Stöhnen schließt etwas ein, das du nicht zu
erkennen wagst. Vielleicht eine Stimme? Es könnte eine Männerstimme sein. Das
glaubst du nicht? Es könnte ein weibliches Stöhnen sein. Was meinst du? Es könnte
das winzige aber syllabierte Schluchzen eines Neugeborenen sein. Oder nicht?
Syllabiert, genau; das war noch nie dagewesen; nicht beim Tropfen, nicht beim
Hereinfluten, nicht bei den Dämonen. Aber es ist keine richtige Silbe. Weniger,
sehr viel weniger als eine Silbe. Trotzdem naher an einer Silbe
als an einem Winseln, einem Triller, einem fallenden Tropfen. Aber noch keine
Silbe. Etwas, das ausheckt, eine Silbe zu werden? Mag sein. Ein phonisches Komplott.
Eine stimmliche Verschwörung. Aber sind wir von der Hypothese einer Stimme nicht
noch unerträglich weit entfernt? Ich glaube tatsächlich nicht, daß man von einer
Stimme sprechen kann, aber bestimmt von einer silbischen Intention, die - wie
es schon bei den Tierstimmen und -geräuschen der Fall war - nicht notwendig
einem substantiellen Akzidens anvertraut werden muß, wenn diese Aussage überhaupt
einen Sinn hat. Wenn du dich in einen schläfrigen Silbenraum verstrickt findest,
dann muß das nicht heißen, daß dort ein Sprechender oder ein Schlaf, oder -
an jenem Ort, von wo die Silben kommen - irgendeine Nacht ist. Doch sag mir:
gesetzt den Fall, du nähmest an - aus einsamer Gewohnheit - dies seien die silbischen
Intentionen eines desorientierten Schläfers - glaubst du dann nicht, daß du
eine Hypothese über die nächtliche Landschaft
solcher Desorientierung aufstellen müßtest? Könntest du nicht, nur so zum Spaß,
einmal erforschen, was das für Träume sind, von
denen du als schmächtige Indizien eben diese Konsonanten-, Vokal- und Silbenintentionen
findest? Aber dann: welche Träume du auch im Sinn hast, du darfst nicht vergessen,
daß zur Beschreibung eines Schläfrigen gehört, daß dieser als eingefleischter
Bewohner einer absoluten Nacht keine Bilder zum Träumen besitzt; deshalb sind
seine Träume auch nichts anderes als deine Träume, und du bist beauftragt zu
träumen, genauso wie du beauftragt warst zu hören; und deine Träume sind auch
diesmal deine Ängste, dein Entsetzen, deine
Müdigkeit. - Giorgio Manganelli, Geräusche
oder Stimmen. Berlin 1989