Ausschau halten  Als er an die letzten Häuser des Ortes kam, erblickte er ein kleines Mädchen in einem blauen Kleid, das auf der anderen Seite eines Zaunes stand und ihn ansah. Sie mochte dreizehn oder vierzehn Jahre alt sein, schmal wie ein Aal, aber mit einem runden, hellen, sommersprossigen Gesicht und einem Paar langer Zöpfe. Die beiden sahen einander an.

»Nach wem hältst du denn Ausschau?« fragte Simon, um etwas zu sagen. In dem Gesicht des Mädchens brach ein entzücktes, hochmütiges Lächeln hervor. »Natürlich nach dem Mann, den ich heiraten werde!« sagte es. Etwas in seinem Aussehen machte den Jungen zuversichtlich und froh; er lächelte es an. »Vielleicht werd' ich das sein«, sagte er. »Ha, ha!« sagte das Mädchen, »der ist ein paar Jahre älter als du, das kann ich dir sagen.« »Warum denn«, sagte Simon, »du bist ja selbst noch nicht erwachsen.« Das Mädchen schüttelte feierlich den Kopf. »Nein«, sagte es, »aber wenn ich erwachsen bin, werde ich überaus schön sein und braune Schuhe mit Absätzen tragen und einen Hut.« »Möchtest du eine Orange?« fragte Simon, der ihm keines der Dinge geben konnte, die es genannt hatte. Es sah die Orange an und dann ihn. »Sie schmecken sehr gut«, sagte er. »Warum ißt du sie dann nicht selber?« fragte es. »Ach, ich habe schon so viele gegessen«, sagte er, »als ich in Athen war. Hier habe ich eine Mark dafür bezahlen müssen.« »Wie heißt du?« fragte es. »Ich heiße Simon«, sagte er. »Und wie heißt du?« »Nora«, sagte das Mädchen. »Was willst du denn für deine Orange, Simon?«

Als er seinen Namen aus ihrem Munde hörte, wurde Simon kühn. »Willst du mir einen Kuß für die Orange geben?« fragte er. Nora sah ihn ernsthaft an. »Ja«, sagte sie, »es macht mir nichts aus, dir einen Kuß zu geben.« Ihm wurde so warm, als wäre er gerannt.  - Tania Blixen, Wintergeschichten, Reinbek bei Hamburg 1989

 

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