Ausfressen    Vom ersten Zubeißen mit den Kauwerkzeugen bis zum völligen Verzehr der Jagdbeute zieht die Larve der Dolchwespe ihren Kopf und ihren langen Hals nicht wieder aus dem Inneren des auszuhöhlenden Tiers heraus. Ich vermute, der Grund für diese Beharrlichkeit liegt darin, daß nur ein einziger Zugang vorhanden ist; ich gehe sogar so weit, zu behaupten, daß beim Aushöhlen eine ganz besondere Kunst des Verzehrens unabdingbar notwendig ist. Der Engerling des Rosenkäfers ist ein großer, schwer zu bewältigender Brocken, ein Stück im Ganzen, das bis zum Schluß eine gewisse bekömmliche Frische bewahren soll. Also muß die junge Dolchwespenlarve vorsichtig zu Werke gehen von dem Punkt, und zwar immer von demselben Punkt aus, den die Mutter auf der Bauchdecke ausgewählt hat; denn die Eingangsöffnung wird genau an der Stelle gebohrt, wo das Ei befestigt war. Der Hals der kleinen Larve wird länger und länger und taucht immer tiefer ein, so daß nach und nach auch die Eingeweide des Opfers angefressen werden, und zwar nach Plan; zuerst die weniger wichtigen, dann diejenigen, nach deren Entfernen gerade noch ein Funken Leben zurückbleibt, und schließlich jene, deren Verlust unweigerlich den Tod herbeiführt, auf den dann unverzüglich die Verwesung folgt.

Schon bei den ersten Bissen sieht man durch die Wunde das Blut des Opfers hervorquellen, eine reichhaltig zubereitete, leicht verdauliche Flüssigkeit, sozusagen eine Art Milchspeise für die neugeborene Larve, Die dem kleinen Vielfraß zustehende Brustwarze ist der blutende Wanst des Rosenkäferengerlings. Dieser wird daran nicht sterben, jedenfalls zunächst noch nicht. Danach werden die Fettschichten in Angriff genommen, die sich wie schützende Hüllen um die inneren Organe legen. Dies ist noch ein Verlust, den der Engerling des Rosenkäfers auszuhalten vermag, ohne sofort einzugehen. Jetzt kommt die Muskelschicht unter der Haut an die Reihe; dann schließlich die lebenswichtigen Organe, zuletzt die Nervenzentren und die Atemröhren, und schon erlischt jedes Leben in dem Engerling, der nur noch ein leerer, aber völlig intakter Sack ist bis auf die Eingangsöffnung mitten auf der Bauchdecke. Von nun an kann die Verwesung diesen Balg befallen; durch planmäßigen Verzehr hat die Dolchwespe es verstanden, ihre Vorräte bis zum Schluß frisch zu erhalten; und jetzt sehen wir, wie sie, rundlich, von Gesundheit strotzend, ihren langen Hals aus dem Hautsack zieht und sich darauf vorbereitet, den Kokon zu spinnen, in dem sich ihre weitere Entwicklung vollenden wird.

Schon möglich, daß mir in der genauen Speisenabfolge der zu verzehrenden Organe ein Fehler unterläuft, denn es ist nicht ganz einfach zu erkennen, was sich im Innern des ausgehöhlten Tieres abspielt. Das Entscheidende dieses kunstvollen Ernährungsplanes, der vom weniger Wichtigen zum Lebenswichtigsten fortschreitet, um dabei stets einen Rest von Leben zu erhalten, ist gleichwohl deutlich erkennbar. Hätte die Beobachtung uns das nicht bereits teilweise gezeigt, so würde allein schon die Untersuchung des auf gezehrten Tieres dies ganz ausdrücklich bestätigen. - (fab2)

Fressen

Oberbegriffe
zurück 

.. im Thesaurus ...

weiter im Text 

Unterbegriffe

VB
Aushöhlen

 

Synonyme