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Ich mache hier eine Einschaltung, um zu erklären, daß ich, im Widerspruch
zu der geläufigen Auffassung, der Ansicht bin, Cézanne sei nicht in erster
Linie ein Maler von Äpfeln, sondern derjenige, der >Das Haus des Erhängten<
gemalt hat. Meiner Überzeugung nach lassen die technischen Probleme, auf die
man, wenn es um ihn geht, überlicherweise den Hauptnachdruck legt, allzu systematisch
das Bestreben vergessen, daß er wiederholt gezeigt hat, derartige Sujets mit
einer Aura aufzugreifen, seit dem ›Mord‹ von
1870, bei dem dieses Bestreben evident ist, bis zu den >Kartenspielern‹ von
1892, die von einer halb tragischen, halb kasperltheaterhaften Drohung umwittert
sind, durchaus vergleichbar jener, die bei dem Kartenspiel in dem Chaplin-Film
>Ein Hundeleben‹ in die Tat umgesetzt wird; nicht zu vergessen der >Junge
Mann vor einem Totenschädel‹, der, seiner Erfindung nach scheinbar von gänzlich
abgestandener Romantik, so wie er gemalt ist, diese Romantik dennoch weit hinter
sich läßt: die metaphysische Unruhe sinkt über das Bild aus den Falten des
Vorhangs. >Das Haus des Erhängten‹ insbesondere
schien mir immer sehr eigenartig hingestellt auf dem Bild von 1885, derart,
daß es von etwas völlig anderem Rechenschaft gibt als von seinem äußeren Anblick,
oder doch zumindest derart, daß es unter dem verdächtigsten Blickwinkel sich
darbietet: der horizontale schwarze Fleck über dem Fenster, die nach links abfallende
Mauer im Vordergrund. Es geht hier nicht um das Anekdotische: es geht, für die
Malerei zum Beispiel, um die Nötigung, den Bezug auszudrücken, der unweigerlich
zwischen dem Sturz eines menschlichen Körpers an
einem Strick um den Hals ins Leere und der Örtlichkeit selber besteht, wo dieses
Drama stattgefunden hat, einer Örtlichkeit, die aufzusuchen und in Augenschein
zu nehmen für den Menschen ein natürlicher Anreiz besteht. Das Bewußtsein dieses
Bezugs für Cézanne genügt mir zur Erklärung, warum er das Gebäude auf der Rechten
an den Bildrand gedrängt hat, wodurch es unseren Blicken zum Teil entzogen wird
und, infolgedessen, sehr viel höher wirkt. Ich will gerne zugeben, daß Cézanne,
eben wegen seines besonderen Vermögens, diese Ausstrahlungen wahrzunehmen und
seine Aufmerksamkeit auf sie zu konzentrieren, sich gedrungen fühlte, sie zum
Gegenstand seines unmittelbaren Studiums zu machen und sie, eben deshalb, in
ihrer elementarsten Struktur zu betrachten. Auch ein Apfel ist von einer solchen
Aura umgeben, wäre sie auch nur dem unausweichlichen Gelüst entsprungen, ihn
zu verspeisen. Zuletzt läuft, bei näherer Untersuchung, alles darauf hinaus,
von den Lichtverhältnissen Rechenschaft zu geben, wobei man, um der Erkenntnis
willen, vielleicht gut daran täte, von dem allereinfachsten auszugehen. Jedenfalls
wird die größere oder geringere Stimmigkeit dieser Verhältnisse für die mehr
oder minder größere Intensität des Eindrucks entscheidend sein. Es ist, als
ginge es hier um ein besonderes Brechungsphänomen, bei dem der Geist des Menschen
das lichtdurchlässige Medium darstellt. Das Prinzip, worauf dieses Phänomen
beruht, wird stets das gleiche sein, und so liegt der Gedanke nahe, wer ihm
auf die Spur kommen wollte, täte vielleicht besser, sich an einem Stück Island-Spat
zu hypnotisieren als gleich eine Fata Morgana erklären zu wollen. Dennoch bleibt
es unbestreitbar, das Cezanne das Bedürfnis empfunden hat, sich mehrfach mit
den anspruchsvollsten Gegebenheiten eines solchen Problems zu messen. - André Breton, L'Amour fou. Frankfrt am Main 1985 (zuerst 1937)
Aura
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Aura
(3) Der Elektroniker hat Lorch und mir erzählt,
daß die Tatarenkeule noch heute unter langgedienten Strahlenärzten
berühmt für ihre geisterhaften AURA-BILDER sei. Dort, wo auf neueren Röntgennegativen
das Mittelgrau des Fleisches umstandslos ins Schwarz des Hintergrundes
übergehe, zeigten sich auf den legendären Altaufnahmen regelmäßig
Auswüchse des Körperrandes. Die Köpfe der Durchstrahlten seien mit
langgezogenen Schweifen versehen oder von eiförmig verzogenen
Lichtkreisen umgeben gewesen. Ein wahrer Heiligenschein
aus Strahlenbündeln habe dann den Schädel und die Schädelfraktur eines
vom Gerüst gestürzten Bauarbeiters umfangengehalten, und manches durch
und durch marode Glied habe das Leuchten seiner Randprotuberanzen in
eine märchenhafte, höhere Gesundheit projiziert. - Georg Klein, Anrufung des blinden Fisches. Berlin 2000
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