Augen, geschlossene   Gaia lachte schauerlich und hob die schwarzen Arme über den Kopf und redete feierlich wie die Nacht: «Deine Kinder werden dich stürzen, Kronos.»

«Ich habe keine Kinder», rief Kronos rasch, doch während er dies noch rief, fiel ihm ein, daß seine Gemahlin Rhea ein Kind unter dem Herzen trug und es bald zur Welt bringen mußte.

«Noch habe ich keine Kinder», sagte er. «Und ich werde auch nie welche haben», fügte er nach einer Pause hinzu.

In diesem Augenblick war es Prometheus, als zerspringe sein Auge. Er hatte die Lider noch geschlossen, doch das Dunkel dahinter wurde heller als der Sommer, und er sah, ohne daß er die Augen öffnete, Kronos hochaufgerichtet über den Wäldern und Bergen stehen, Gewitter in seinem Haar und Granit um die Schultern und das seltsame Flimmern am Gürtel aus Erz, und er sah Kronos also stehen und reden, da plötzlich sprangen aus des Herrschers offenem Mund Jünglinge und junge Frauen und hielten starre rote Blitze in ihren Händen und drangen kämpfend auf Kronos ein. Der hüllte sich in den Fels seines Mantels und wehrte die Angreifer ab, doch die schlugen so heftig zu, daß der Herrscher wankte. Da schrie Kronos um Beistand, und da öffnete sich die Milchstraße über seinem Haupt, und die Titanen eilten dem Gebieter zu Hilfe. Prometheus erkannte sie alle: Hyperion und Atlas und Krios und auch Vater Iapetos und alle anderen, doch da wurde der Druck in den Augäpfeln so stark und schmerzhaft, daß Prometheus die Lider aufreißen mußte. Im Nu waren die Bilder verschwunden! Seine Augen schmerzten nicht mehr; sie sahen das ruhige Grün des Waldes, der ihn umfing, und sie sahen Kronos auf einem prasselnden Blitz die Luft durchfahren und gleichzeitig Mutter Gaia im Boden versinken, und dann blieb nur der bunte Reigen der schwirrenden Vögel und blühenden Blumen im Blick. Da wußte Prometheus, daß er nicht geträumt hatte, und er wußte, daß er nun einer Kraft mächtig war, über die keiner der Titanen verfügte. Mit Augen, so fein, daß sie das Leben sehen konnten, waren auch Hyperion und Kronos begabt; Augen jedoch, die durch die Zeit in die Zukunft blicken konnten, besaß nur er.

Wie wird der Kampf ausgehen? dachte er neugierig und schloß wieder die Lider, und sogleich sah er wieder Kronos stehen und reden und sah die gewaffneten Jünglinge und Jungfrauen aus seinem Mund springen und sah sie mit starren Blitzen auf Kronos sich stürzen, und wieder sah er den Fürsten wanken und schreien und die Titanen heraneilen, da war die Fülle der Bilder wieder so strotzend geworden, daß Prometheus sie nicht mehr ertragen konnte. Seine Lider flogen von selbst auf, so wie sich der Mund von selbst auftut, wenn man den Atem über Gebühr anhalten will.

Die Bilder waren verschwunden.   - Franz Fühmann, Prometheus. Die Titanenschlacht. In: F. F., Marsyas. Mythos und Traum. Leipzig 1993 (Reclam 1449, zuerst 1974 ff.)

Augen, geschlossene  (2)

- N.N.

Augen, geschlossene  (3)

Augen, (wohlig) geschlossene  (4)

Augen, geschlossene  (5)
 

Auge

 

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