Aufschrei    Endlich konnte sich Sophie im nahe gelegenen Gebüsch, welches ein Schachbrett auf diesem Platz umwächst, verkriechen, und der Karl, wie er es so sehnsüchtig vorgehabt hatte am Ufer des Chiemsees: in seiner Sophie. Und wie ihre katholischen Ureltern, aber ungestörter, ach Gott, durften die beiden unter der von der Stadtgärtnerei angelegten grünen Andeutung die Zeit vergessen und die Welt um sich. Aber waren es zwei Fischreiher, die kreisten und schwirrten in diesem einen seligen Augenblick, der sich zeitlos dehnte? Wo immer sie silberglänzende Fische verschlangen, war Ewigkeit mit im Spie!, in der sogar Frösche quakten. Ein schmaler Mond am nachtblauen Himmel der Münchener Freiheit leuchtete zart, und hinter ihnen erschienen die Sterne und besonders ein neues Sternbild. Aber das konnten sie nicht mehr ausmachen in ihrer Wonne, in welcher ihre Augen verschwammen. Unter diesem Himmelsgewölbe lernte Sophie zum erstenmal die Liebe kennen, jene, bei der sich Seele und Körper gleichzeitig begegnen.

Ein weher Aufschrei im Gebüsch. Und wie es zu sein hat, wo zwei sich lieben: lacht ein Dritter. Die Besetzung dieser Rolle in diesem heiligen Augenblick: Ein Systemtheoretiker. Er verschwand, nach der pünktlichen Absolvierung seines Stichlauts. Ich konnte nicht ahnen, daß du noch nicht , . . Du lieber Himmel, was habe ich dir angetan . . . wehklagte der Karl. Sophie aber lächelte ihn an, so innig, so glückleidig, daß es ihm die heißen Tränen in die von der Lust noch geweiteten Augen trieb. Ich habe es genauso wie du gewünscht, Karl. Und ich bin so, so glücklich, so selig, daß ich mich vorher bewahrt habe mit Hilfe des heiligen Ludwigs. Für dich. Ich liebe dich . . .

Er preßte sie an seine Brust, mit der frommen Rechten inzwischen das geliebte Muster ihres Strickkleides über ihren Schoß ziehend, froh darüber, daß nach diesem Fall seine Linke wissen durfte, was seine Rechte tat. Und er streichelte ihr über das honigblonde Haupthaar mit eben den Fingern beider Hände, die Geheimeres, wenn auch ähnliches Tun, schon hinter sich hatten. Es folgten gestammelte Liebesworte. Und wie die Zeit dabei verging, entging diesen Liebenden, Und dann der Abschied, aber nicht für immer. Und dieses Wegtaumeln voneinander im Licht in Richtung Bäckerei und Hypotheken- und Wechselbank: schaurig und süß.   - Paul Wühr, Das falsche Buch. Frankfurt am Main 1985

Schrei

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