Aufruf  Öffnet die Gefängnisse, entlaßt die Armee

Es gibt kein Verbrechen des gemeinen Rechts

Die gesellschaftlichen Zwänge haben ausgedient. Nichts, weder das Geständnis eines Vergehens, noch der Beitrag zur nationalen Verteidigung dürfen den Menschen zwingen, seine Freiheit aufzugeben. Die Idee des Gefängnisses, die Idee der Kaserne sind heute gängige Münze: diese Monstrositäten verblüffen euch nicht mehr. Die Würdelosigkeit liegt in der Ruhe derer, die das Problem durch verschiedenen moralischen und physischen Verzicht (Ehrlichkeit, Krankheit, Patriotismus) unter den Tisch gekehrt haben.

Einmal das Bewußtsein wiedergewonnen, welch einen Mißbrauch einerseits die Existenz solcher Kerker darstellt, andererseits die Verrohung, die Erniedrigung, die sie bei denen schaffen, die ihnen entkommen, wie bei denen, die man darin einsperrt - und es gibt, scheint es, Irrwitzige, die die Zelle oder die Kasernenstube dem Selbstmord vorziehen  - dieses Bewußtsein einmal wiedergewonnen, wird keinerlei Diskussion zugelassen sein, kein Widerruf.

Niemals war die Gelegenheit so günstig, damit Schluß zu machen, man erzähle uns also nichts von der Gelegenheit. Wenn die Herren Mörder anfangen: wenn du den Frieden willst, bereite den Krieg vor, überdecken solche Sprüche nur die elendste Feigheit oder die heuchlerischsten Gelüste. Fürchten wir nicht zuzugeben, daß wir die Katastrophe erwarten, herbeirufen. Die Katastrophe? Die bestünde darin, daß es weiter eine Welt gäbe, in der der Mensch Rechte über den Menschen hat. Wie kann man länger an diese heilige Union angesichts der Messer oder der Maschinengewehre, an dieses erledigte Argument appellieren? Setzt Soldaten und Sträflinge frei. Eure Freiheit? Es gibt keine Freiheit für die Feinde der Freiheit. Wir werden nicht die Komplizen von Kerkermeistern sein.

Das Parlament stimmt für eine verstümmelte Amnestie; im nächsten Frühjahr rückt ein neuer Jahrgang ein; in England war eine ganze Stadt nicht imstande, einen Menschen zu retten; man hat ohne Überraschung vernommen, daß zu Weihnachten in Amerika die Hinrichtung mehrerer Verurteilter ausgesetzt wurde, weil sie eine schöne Stimme hatten. Und jetzt, da sie gesungen haben, können sie gerne sterben, exerzieren. In den Schilderhäusern, auf den elektrischen Stühlen warten die Agonisierenden, laßt ihr sie zum Teufel gehen?

Öffnet die Gefängnisse - entlaßt die Armee

   - Die surrealistische Gruppe Paris, nach: Manifeste und Proklamationen der europäischen Avantgarde (1909-1938). Hg. Wolfgang Asholt, Walter Fähnders. Stuttgart Weimar 1995

 

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