- André Breton, Zweites Manifest des
Surrealismus
(1930). In: A.B., Die Manifeste des Surrealismus. Reinbek bei Hamburg
1986 (re 434)
Aufräumen (2) Der Kampf war hart gewesen und hatte
lang gedauert, das wurde von allen Sinnen bestätigt. In der Luft hing geradezu
ein Geschmack nach Schlacht. Aber alles war vorüber, und es blieb jetzt nur
noch, die Verwundeten zu versorgen und die Toten zu begraben - ‹ein wenig aufzuräumen›,
wie es der Spaßmacher eines Beerdigungskommandos
nannte. Und es war eine Menge Aufräumungsarbeit erforderlich. Soweit man durch
den Wald sehen konnte, lagen zwischen den zersplitterten Bäumen die Wracks von
Menschen und Pferden. Bahrenträger bewegten sich dazwischen, sammelten die wenigen,
die noch Lebenszeichen von sich gaben, und trugen sie davon. Die meisten der
Verwundeten waren an der Vernachlässigung ihrer Verletzungen gestorben, als
das Recht, ihren Nöten abhelfen zu dürfen, noch strittig war. Es ist ein Gesetz
der Armee, daß die Verwundeten warten müssen; der beste Weg, für sie zu sorgen,
ist, die Schlacht zu gewinnen. Es muß auch zugegeben werden, daß der Sieg ein
klarer Vorteil ist für einen Mann, der Fürsorge braucht, aber nicht viele erleben
ihn, um sein Nutznießer zu werden. - Ambrose Bierce, Der Gnadenstoß. In:
A.B., Der Gnadenstoß. Reinbek bei Hamburg 1965 (rk 184)
Aufräumen (3) Die Desorientierung und die Neuorientierung,
die mit der Initiation in jede Geheimlehre einhergehen,
sind das wunderbarste Erlebnis, das man haben kann. Alles, was sich das Gehirn
ein Leben lang bemüht hat, sich einzuverleiben, nach Kategorien zu ordnen und
zusammenzufügen, muß auseinandergenommen und neu geordnet werden. Umzugstag
der Seele! Und natürlich geht das nicht einen Tag, sondern Wochen und Monate
so weiter. Man trifft zufällig einen Freund auf der Straße, den man mehrere
Wochen nicht gesehen hat, und er ist einem völlig fremd geworden. Man gibt ihm
ein paar Signale von seiner neuen Warte aus, und wenn er nicht darauf anspricht,
gibt man ihn auf - für immer. Es ist wie beim Aufräumen eines Schlachtfelds:
alle hoffnungslos Kampfunfähigen und mit dem Tode Ringenden erledigt man mit
einem raschen Keulenhieb. - (wendek)
Aufräumen (4) Joachim sagte am Wald: Nach
dem Krieg meinte man, Ruhe ist, ist aber keine. Die neuen Herrn können nichts
als Gesetze machen, die bald kein Mensch mehr halten kann. Nachher gibts das
große Aufräumen, wenn der Glaube so klein ist, daß man ihn mit einem Geißelschnalzer
vertreiben kann. Den Herrgott werden sie aus dem Winkel reißen und in den Kasten
stecken. Die Leute werden sich wie die Narren kleiden und viele werden rote
Schuhe tragen. Alle Bauern werden politisieren und Bauernknechte und Handwerker
werden in der Regierung sitzen. Die Leute werden nichts anderes tun als nur
fressen und saufen. Dann sagte mein Großvater: Es werden kurze Sommer sein;
man wird Winter und Sommer nicht mehr unterscheiden können, weil der Sommer
so kalt sein wird. Kein Mensch wird den anderen mehr mögen. Da wird der Bruder
den Bruder und die Mutter ihr Kind nicht mehr kennen. In den Städten geht die
Gaudi zuerst los. Wer etwas hat, dem wirds genommen; in jedem Haus ist Krieg;
kein Mensch kann mehr dem ändern helfen. Die reichen und noblen Leut werden
umgebracht; wer feine Hand hat, wird totgeschlagen. Die Leut, die von der Stadt
aufs Land kommen und zum Bauern sagen, geh laß mich ackern, werden von den Bauern
mit dem Pflugraitl erschlagen. In dieser Zeit werden sich die Mannsbilder tragen
wie die Weiberleut und die Weiberleut wie die Mannsbilder, so groß werden das
Mißtrauen und die Angst unter den Menschen sein. Die Bauern werden ihre Häuser
mit hohen Zäunen umgeben und aus den Fenstern auf die Leute schießen. Zuletzt
werden sie noch Steine zu Brot backen und betteln gehen. In dieser Not holen
die Leute auch den Herrgott wieder aus dem Kasten und hängen ihn recht fromm
auf, aber das hilft nicht mehr viel. Denn das große Aufräumen geht jetzt erst
richtig los. - (acht)
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