Aufklärungsarbeit   Ich lebte in einer Welt der Vorstellung ... immer wieder konnte es geschehen, daß mir die Wirklichkeit phantastisch wurde, irregulär, und von einem Augenblick zum andern bestand die Ruhe für mich nurmehr in einer unwahrscheinlich haltbaren Simulation. Dies war kein Wunder, wir lebten schließlich andauernd unter dem Druck, ein Verhalten in Betracht ziehen zu müssen, das womöglich gar nicht existierte. Es war ein Zwiespalt, in dem wir lebten: wir betrieben ununterbrochen Aufklärung, inwiefern sich die Wirklichkeit unseren Vorstellungen schon angenähert hatte... aber wir durften nicht glauben, daß unsere Vorstellungen wirklich wahr werden konnten. Nein, wir glaubten unseren eigenen Vorstellungen nicht, denn wir klärten ununterbrochen auf - für uns selber! -, daß es keinen Grund gab, ihnen Glauben zu schenken, den Vorstellungen. Aber es war schwer, aufzuklären ohne eine Vorstellung davon, was durch Aufklärung sichergestellt und gegebenenfalls verhindert werden sollte, möglichst im Ansatz schon verhindert, wie es unser ausdrückliches Ziel war. Darum war es notwendig, zu simulieren, daß die Wirklichkeit im Ansatz unseren Vorstellungen entsprach ... wann, fragte ich mich, war es soweit, daß wir den Dingen, die wir aufklärten, keine eindeutigen Zuordnungen mehr abgewinnen konnten: ob sie noch in den Bereich der Simulation gehörten, ob sie schon im Ansatz Wirklichkeit geworden waren. Die Wörter »noch« und »schon« drückten die Crux aus: konnte aus der Simulation die Wirklichkeit werden, und wo war der Übergang? Konnte, was noch Simulation war, schon in Wirklichkeit übergegangen sein, bevor wir es aufgeklärt hatten? Konnte Simulation Wirklichkeit werden, konnte uns die Wirklichkeit mit Simulation antworten. Wenn wir dies bejahen mußten, waren wir wahrscheinlich verloren . .. also durften wir es gar nicht glauben.

Also: wir durften nichts glauben, denn was wir nicht glaubten, das geschah nicht. Es konnte nicht geschehen: aus Unglauben ... dies wußten wir sicher und fest. Jeder von uns hatte es zutiefst im Bewußtsein, es gab keine tiefere Schicht in unserem Bewußtsein als den Unglauben. Mit unserem Unglauben kamen wir geradewegs und gezielt von der Aufklärung her ... und manchmal ging einer so weit, den Unglauben unseren Glaubensgrundsatz zu nennen. Der Unglaube saß tief, er war der knurrende Kaffeesatz in unseren Gedärmen ... hah! Vielleicht tranken wir zuviel Kaffee, wenn wir nachdachten, wir seien die besten Kunden von Eduscho, hatte einer gesagt. Und wenn wir zur Überzeugung übergingen, tranken wir Sekt und Bier, das belustigte und stimmte ungläubig.

Also: es gab keinen Gott, es gab keine Phänomene, es gab kein Unterbewußtsein, es gab kein Zurück . .. dies waren, wenn wir so wollten, die Klartexte hinter dem Gerede. - Nichts konnte passieren, was wir nicht glaubten, weil wir es nicht glaubten ... und schon waren wir notwendig. Wir hätten vor aller Welt mit den Fingern auf das zeigen können, was nicht passierte ... denn wir glaubten es nicht. Noch einmal: alles, woran wir glaubten, war unser Unglauben. Alle Aufklärung, die wir betrieben, nicht nachlassend, unermüdlich aufpassend, bestand in der Übermittlung des Glaubens, daß nichts passieren konnte, nichts, dafür konnten wir nicht wortreich genug sein. Selbst wenn es jeder schon wußte, wir mußten, im Zuge der Aufklärung, noch einmal übermitteln und versichern, daß die Leute da draußen auf dem Trottoir nichts taten, als aus einem U-Bahn-Schacht herauszukommen, weiterzugehen und in den nächsten U-Bahn-Schacht wieder hineinzusteigen. Wir waren glaubenslos sicher, daß nichts Unklares passieren konnte, daß sie sich auf dem Trottoir nicht zusammenballten, auch wenn sie in Gruppen kamen, in vielen Gruppen, in Mengen, in Massen und Kohorten.  - (ich)

Überwachung

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GeheimdienstPolizei

 

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