Aufgabe, menschliche  Einen kurzen Augenblick lang dachte ich an Dich. Wie Du Dich weniger egoistisch zeigst, wie Du bemüht bist, auf mich Rücksicht zu nehmen, wie Du auf das kleinste Ausweichen meinerseits achtest. Er aber schien sich, als er das genaue Ziel gefunden hatte, seiner Sache sicher und war nur von dem Wunsch besessen, seine menschliche Aufgabe zu erfüllen, wobei eine gewisse Verachtung für die Kreatur, mit der er umging, zu spüren war. Im Grunde mißfiel mir das nicht, trotz einigen Bedauerns, das mich dazu brachte, seine Brust zu berühren. Offenbar glaubte er, ich wollte ihn zurückweisen, denn er stellte mir daraufhin sofort eine plumpe Falle: seine Hände bemächtigen sich meiner Brüste, sein Nacken beugt sich, sein Kopf taucht in meinen Busen und bedeckt diese gefangenen Brüste abwechselnd mit gierigen Liebkosungen. Du kennst mich ja. Das dauerte nicht lange. Der Kopf ging wie durch einen elastischen Rücklauf in seine Ausgangsstellung zurück und streckte sich dann etwas nach hinten. Ich sah nun, wie sich auf diesem Gesicht jene Gefühle einander ablösten, die mit leichter Verzögerung auch in mir selber aufkamen.

In diesem Augenblick hatten sich seine Züge verhärtet, weil seine Seele auf einen ganz anderen Gegenstand gerichtet war. Sein von Natur aus fester Mund verlor seine Zeichnung, klaffte leicht über den zusammengepreßten Zähnen. Da war eine blutleere Zone um die Lippen, von der ich nicht hätte sagen können, ob es noch die Lippen waren oder bereits die Haut. Eine leichte Asymmetrie machte sich bemerkbar und zog das Kinn nach links. Unter-den seitlichen Falten, die die Lippen beherrschen, und auch direkt unterhalb der Unterlippe sah man die kleinen Nebenmuskeln zittern, die sich vor den Blicken verbergen, solange die Gesichtsmechanik kalt vom Bewußtsein gelenkt wird. Sein Gesicht war ein großartiges Muskelmodell: manchmal enthüllte ein Zucken die strei-fenförmigen Muskeln der Wangen und brachte ein Raubtiergebiß in Bewegung. Dann entspannte sich alles, mit Ausnahme der bebenden Nasenflügel, die ein ganz natürliches starkes Atmen zum Zittern brachte. Die kaum gesenkten Augenlider verbargen nicht den starren Blick, der mehr ungleichmäßig als trübe war. Seine Augen hatten aufgehört, sich mit mir zu beschäftigen, sie wurden in der Tiefe der Augenhöhle von einer herrischen Vorstellung angezogen; sie sahen eine innere Realität erstehen; sogar ihre Materie schien verwandelt; sie hatte nicht mehr die Transparenz des Glases, und das Weiß hatte nicht den gewohnten Glanz der Spiegel. Das ähnelte, wie soll ich sagen, den Augen der Statuen, der Terrakotta, dem ungebrannten Ton, der Erde. Diese leblose und zugleich lebendige Materie zeigte noch (gleichmäßig, als ob die Pupille in der Hornhaut geschmolzen wäre) große blau-weißblaue Perlmuttreflexe. Taubenblaue Augen. Nackte Augen. Ich wünschte zu sehen, wie sie sich weiter auflösten, wie Perlen in Essig, ich wünschte zu sehen, wie sich diese Augen für immer verlören. Stirb, stirb, Blick, sagte ich mir. Und als die Züge nach und nach erloschen, als auch der Mund selbst die Erinnerung an seine eigene Farbe verlor, als sich alle vorübergehenden Falten, alle Runzeln glätteten, als sich die Nase und die Wangen, die Wangen und die Lider im Unförmigen vereinten, als der ganze Kopf zwischen meinen Händen, die ihn genommen hatten, unterging, als ich mit dem Fleisch der Finger seine kühlen Ohrläppchen schmelzen fühlte: da sagte ich mir, stirb, Gesicht, stirb.

Nun, selbst die Haare hatten nicht mehr diese Ordnung, die ihnen so selbstverständlich erscheint, man hätte schwören mögen, das sei Baumwolle. Man mußte sehen, wie neben ihnen die Haut blaß wurde, dann durch alle Farbnuancen hindurchging, die ein spärliches Licht ermöglicht; wie die Schatten der Blätter dem Vorbeigehenden die Finsternis zeigen, so wußten die Haarwurzeln vieles über die geheimen Bewegungen der Lust zu sagen. Eine Falte zeichnete sich auf der feuchtkalten Stirn ab. An den Schläfen brachten plötzliche Atemstöße, tief wie Sturmfluten, immer wieder scharlachrote Wogen an die Oberfläche, die sich in feinen Netzen verlieren sollten. An diesem köstlichen Strand schlief eine Schlange, die sich nur schlecht im Sand vergraben hatte. Sie schien im schimmernden Licht die aufgeblähten Ringe ihrer Drohung zu schütteln. Unter meiner Handfläche glitt die Haut über die Knochen, die sich glatt wie Achat anfühlten.

Die wachsende Erregung des Körpers teilte sich diesem verlassenen Gesicht fast gar nicht mit. Auslaufende Brandung. Hier ist das Liebesrennen am kürzesten. Ich weiß schon, Du wirst sagen, das sei Absicht. Doch liegt mir nichts ferner als der Gedanke, Dich die Geduld verlieren zu lassen. Aber da Du ja verstehen willst, so verstehe doch, es gibt nicht x-beliebig viele Mittel, es zu machen. Wenn ich Dich ärgern wollte, würde ich mich nicht darauf beschränken, Dir nur ein paar Einzelheiten zu berichten. Du würdest dann auch das Zimmer kennenlernen, die Möbel, den Wasserkrug und allen möglichen Kram. Du hättest mich auf dem Rand des Bettes mit den eingeschlagenen Tüchern gesehen, ein Bein ausgestreckt, das andere herunterhängend, während er vor mir stand.   - (lib)

 

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