Aufdringlichkeit  Ich nehme eine illustrierte Zeitschrift und betrachte einen Mann, der darin photographiert ist. Bald wird er mir lästig. Er existiert zu stark. Er hat eine zunehmende Existenz. Er existiert mit Wiederholung. Er existiert immer mehr, immer weiter, und es ist kein Ende abzusehen. Es gibt kein Filter mehr zwischen seiner Existenz und der meinigen. Seine Art zu existieren steht in gar keinem Verhältnis zu seiner wirklichen Bedeutung und zu dem Interesse, das er für mich haben kann.

Genug. Ich will nicht mehr. Schluß mit unserem Gegenübersein! Ein anderes Bild. Da, diese junge Japanerin auf dem Titelblatt, die eben noch sehr hübsch aussah. Auch sie wird aufdringlich. Ich werde nie mehr aufhören können sie zu sehen. Sie (ihr Bild) wird verstärkt von Verstärkungen, die mich nichts mehr lehren können. Sie drängt sich auf. Das ist alles. Meinetwegen, betrachten wir jetzt also die Boote, diese schönen malaiischen Boote, mit erhobenem Bug, die mir so sehr gefallen, nein, die mir so sehr »gefielen« - denn ihr Bug ist jetzt auf eine so besondere Art Bug, auf eine unerträgliche Art ist er Bug. Er ermüdet mich, weil er Bug ist. Er ist bis zu einem Grade Bug, daß er alles in mir aufstört, was nicht Bug ist. Er ist fanatisch Bug. Betrachten wir also die Ruder. Das ist noch schlimmer. Alle Schärfen sind zu scharf. Die siamesischen Ruder sind allerdings ziemlich scharf an ihrem Ende. Aber heute ist es nicht die gleiche Schärfe. Ihre Schärfe proklamiert die Schärfe. Ihre Schärfe durchdringt mich. Soll ich weitermachen? Diese Illustrierte über Asien, die ich mir ausgesucht habe, mich zu beruhigen, und die für gewöhnlich diese Aufgabe sehr gut erfüllt, wird zu einem Ort übler Begegnungen. Noch ein paar Blicke. Da ist ein Fischer. Gewiß ein guter Kopf. Dennoch ist er »zuviel«. Unter Meskalin fühlt man sich vom andern Menschen bedrückt. Vor dem Bild der Menschen »fällt man nicht mehr ins Gewicht«. Und immer wieder ihre Aufdringlichkeit, weiter und weiter dasein zu wollen. Was die gewöhnliche Realität (noch mehr die photographierte) sonst Gutes hat, ist die Tatsache, daß sie sich vor uns, in uns auslöschen läßt, die gute, die brave, die so leicht zu vergessende Realität. Diese hier ganz im Gegenteil beharrt, geht nicht weg, läßt nicht los. Jedes Schauspiel wird Gefahr.   - Henri Michaux, Turbulenz im Unendlichen. Die Wirkungen des Meskalins. Frankfurt am Main 1971

 

Unhöflichkeit Abstand

 

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Zudringlichkeit
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