udienz  Graf Cagliostro erbat sich eine geheime Audienz, und Saint-Germain bestimmte ihm die Audienzstunde auf zwei Uhr nach Mitternacht.

Vor dem Hingange zu dieser geheimen Audienz legten Cagliostro und seine würdige Gattin einen weißen Kaftan mit einer aurorfarbenen Schärpe an, und so kamen sie vor das Schloß. Die Zugbrücke wurde herabgelassen, und ein moderner Goliath von sieben Fuß, in einen langen grauen Schlafrock eingehüllt, führte das Ehepaar in einen schlecht erleuchteten Saal. Plötzlich öffnen sich zwei große Flügeltüren, und ein mit tausend Kerzen erleuchteter Tempel zeigt sich, auf dessen Altar Saint Germain saß, mit zwei Dienern zu seinen Füßen, aus deren goldnen Rauchfässern sanftes und gemäßigtes Rauchwerk in Wölkgen emporstieg. Das Idol hatte einen Diamantschmuck, dessen Glanz kaum zu ertragen war, auf der Brust. Eine große weiße durchsichtige Figur hatte ein Gefäß in den Händen mit der Aufschrift Elixier — der Unsterblichkeit. Etwas weiter hinweg hing ein ungeheurer Spiegel, vor welchem eine majestätische Gestalt auf und ab ging, und über dem Spiegel las man die Worte Aufenthalt irrender Seelen. Das tiefste Stillschweigen herrschte in dieser heiligen Stätte. Inzwischen ließ eine Stimme, die keine Stimme zu sein schien, die Fragen: »Wer seid ihr? woher kommt ihr? was wollt ihr?« erschallen. Graf Cagliostro und seine Gattin warfen sich anbetend nieder, und nach einer sehr langen Pause sprach der Graf mit gedämpfter Stimme folgende Worte: »Ich komme, den Gott der Gläubigen, den Sohn der Natur, den Vater der Wahrheit anzubeten. Ich bitte ihn um eins von den vierzehntausend siebenhundert Geheimnissen, die sein Busen in sich verschließt. Ich will sein Sklave, sein Apostel, sein Märtyrer sein.« Das Idol schwieg. Nach einem sehr langem Stillschweigen aber ließ sich eine Stimme hören, und fragte: »Wozu entschließt sich deine Reisegefährtin?«

Sie antwortete: »Zu Gehorsam und Dienst.« Darauf folgte Finsternis auf Licht, Getöse auf Stille, Furcht auf Zutrauen, Unruhe auf Hoffnung, und eine kreischende und drohende Stimme rief: »Wehe dem, der in der Prüfung nicht besteht!«

Man sonderte Cagliostro von seiner Gattin ab. Sie fand sich in einem berauchten Kabinett mit einem blassen magern grimmassierenden Geschöpf von einem Manne. Dieser angekleidete Orang-outang erzählte ihr seine Liebesgeschichten und Reichtümer, las ihr Briefe der größten Monarchen an ihn vor, galoppierte um sie herum, und endigte seine Prüfung damit, daß er die Diamanten von ihrem Kopfputz verlangte. Die Gräfin freute sich, ihrer so wohlfeilen Preises los zu werden, und gab sie ihm. Auf diesen ersten Versucher folgte ein zweiter in einer sehr unzüchtigen Kleidung. »Madam«, sprach er, »denken Sie daran, daß Ihre Blicke immer auf mein Gesicht geheftet sein müssen.« Dieser Mann hatte die schönste Gestalt, und ausdruckvollsten Augen. Schönen war er gefährlich, sie mochten sein Gesicht ansehen, oder seine Schmeicheleien hören, oder ihren Blick auf denjenigen Teil seines Leibes fallen lassen, durch welchen er dem Gartengotte von Lampsacus ähnlich war.

Nachdem die Gräfin eine Viertelstunde die mühsame Prüfung, diesen Mädchen-Zwinger anzusehen, überstanden hatte, kam eine Alte und sprach: »Ich allein kann von Eurer Tugend urteilen. Die zweite Eurer überstandenen Prüfung ist, zu wissen, in welchem Grad Eure Sinnen den Lockungen unternehmender Jünglinge zu widerstehen wissen.« - »Wartet eures Amtes«, rief die Gattin von Cagliostro. Dies geschah, und hierauf erteilte ihr die Alte auf Pergament ein Zertifikat über ihren Widerstand. Von da führte sie dieselbe in ein großes unterirdisches Gewölbe, wo sie gefesselte Männer, bis aufs Blut gepeitschte Frauen, Scharfrichter, die da köpften, und Leute sah, die den Giftbecher austrinken mußten. Auch wurden Zangen glühend gemacht, und Schnappgalgen mit schmähenden Inschriften aufgerichtet. Die Gräfin Cagliostro beschaute diese mannichfaltigen Justizmorde mit heitern Blicken, und ward nicht im geringsten bewegt aus der Hölle zurückgeführt.

Die Prüfungen, welche Graf Cagliostro zu überstehen hatte, waren von einer andern Art. Im Anfange stellte man seine Bescheidenheit mit Lobeserhebungen auf die Probe, hierauf zeigte man ihm seine Frau in den Armen eines andern, um zu wissen, ob sein Kopf auch von Eifersucht gleich andern Männerköpfen verrückt werden könne; und endlich las man ihm aus dem Buche des Schicksals die Verfolgungen vor, die in Zukunft seiner warteten.  - Echte Nachrichten von dem Grafen Cagliostro. Aus der Handschrift seines entflohenen Kammerdieners. Nach: Cagliostro. Dokumente zu Aufklärung und Okkultismus. Hg. Klaus H. Kiefer. München, Leipzig und Weimar 1991  (Bibliothek des 18.Jahrhunderts)

Audienz ⁽²⁾

- N. N.

Audienz ⁽³⁾  Im Mount Wilson Observatory herrschte eine Atmosphäre wie in einem viktorianischen Klub, es ging sogar genauso steif zu. Die Astronomen trugen Anzüge. Auf dem Berg zogen sie sich zum Essen um und tafelten auf echtem Leinen. Die Flure waren mit Teppichen ausgelegt und die Wände mit Eichenholz getäfelt. Auf dem Schild an der Toilettentür stand »Gentlemen«. Sandage machte sich mit zitternden Knien auf den Weg. Es war wie eine Audienz bei Gottvater persönlich.

Hubble enttäuschte lan Sandage nicht: Er sah genau so aus wie jemand, der Teams von Astronomen losschickte, das Universum zu vermessen. Hubble war ein großer, gutaussehender Mann mit den Kinnbacken eines Boxers, dazwischen steckte gewöhnlich eine Pfeife. Er kleidete sich wie ein englischer Lord, und sein heimatlicher Missouri-Dialekt war im Laufe der Zeit von einem gepflegten Oxford-Akzent überlagert worden. Mit dem Geschick eines Anwalts vermittelte er jedem Besucher das Gefühl, er sei die Jury, auf die sich seine geballte Aufmerksamkeit konzentriere. Einer seiner Tricks bestand darin, daß er beim Eintreten eines Besuchers mit einer gebieterischen Handbewegung alle Papiere auf seinem Schreibtisch in den Papierkorb schob. Wenn der Besucher wieder gegangen war, konnte man Hubble dabei beobachten, wie er in dem Papierkorb wühlte und ein Blatt nach dem anderen wieder herauszog.  - Dennis Overbye, Das Echo des Urknalls. München 1993