theismus
 
Es gleitete das Schiff durch pechschwarze Klippen,
Schon gähnt es der bannende Abgrund an, –
O wollte die Mannschaft den Himmel erblicken, –
Der Himmel allein sie erretten kann.

Nichts and'res kann retten – sonst hüllen die Sterne
Euch weinend das Haupt und strahlen euch nicht –
Und Wetterwolken bedecken am Tage
Der heitern Sonne weitreichendes Licht. –

Auch außer dem Meere, im eigenen Herzen
Beginne der Kampf und das Ja und das Nein –
Um Höhe und Tiefe, um Helle und Dunkel,
Um höheres oder niederes Sein. –

Um Leben für immer, um Sterben für immer –
Um ewigen Unsinn und ewigen Zweck –
Verlöscht nicht das Licht bei der finsteren Brandung –
Das Schiff uns'rer armen Menschheit ist leck.

 - Friederike Kempner

Atheismus (2)  Ein berühmter Glockenfabrikant - mit langem Bart und durch und durch atheistisch - erhielt eines Tages den Besuch zweier Kunden. Sie waren in Schwarz gekleidet und sehr ernst und hatten Wülste an den Schultern, weshalb der Atheist dachte, daß dort auch Flügel sein könnten, wie sie nach dem Hörensagen bei Engeln üblich sind, aber er maß dem weiter keine Bedeutung bei, da es sich nicht mit seinen Überzeugungen vertrug. Die beiden Herren bestellten bei ihm eine Glocke von riesigen Ausmaßen - noch nie hatte der Meister etwas ähnliches gemacht - und aus einer Legierung, die er noch nie verwendet hatte, die beiden Herren erklärten ihm, daß die Glocke einen besonderen Klang erzeugen würde- absolut anders als bei jeder anderen Glocke. Als sie sich verabschiedeten, erklärten die beiden Herren - nicht ohne eine Spur von Verlegenheit - daß die Glocke für das jüngste Gericht bestimmt sei, welches jetzt nahe bevorstünde. Der Glockenmeister lachte freundschaftlich und sagte, daß es zwar nie ein Jüngstes Gericht geben würde, daß er die Glocke aber trotzdem in der angegebenen Weise und in der vereinbarten Zeit herstellen würde. Die beiden Herren kamen alle zwei bis drei Wochen vorbei, um zu sehen, wie die Arbeit fortschritt, es waren zwei melancholische Herren und es schien - obwohl sie die Arbeit des Meisters bewunderten - als wären sie insgeheim unzufrieden. Dann ließen sie sich eine Weile nicht mehr blicken. In der Zwischenzeit brachte der Meister die größte Glocke seines Lebens zur Vollendung und merkte, daß er stolz darauf war, und es kam ihm vor, als ob er in seinen geheimsten Träumen wünschte, eine so schöne und auf der ganzen Welt einzigartige Glocke möge beim Jüngsten Gericht Verwendung finden. Als die Glocke bereits fertiggestellt und auf ein Holzgerüst montiert war, tauchten die beiden Herren wieder auf. Sie betrachteten die Glocke voller Bewunderung und zugleich voll tiefer Melancholie. Sie seufzten. Schließlich wandte sich der anscheinend gewichtigere der beiden an den Meister und sagte mit verhaltener Stimme und fast schamhaft: »Sie hatten recht, lieber Meister, es wird kein Jüngstes Gericht geben - weder jetzt noch irgendwann. Es war ein schrecklicher Irrtum.« Der Meister sah die beiden Herren an - ebenfalls mit einer gewissen Melancholie, aber wohlwollend und glücklich. »Zu spät, meine Herren«, sagte er leise und bestimmt und ergriff das Seil, und die große Glocke begann zu schwingen und klang ganz laut und hell, und es kam wie es kommen mußte: die Himmel taten sich auf. - (pill)

 

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