Arsch, redender    BENWAY: »Ja, warum reduzieren wir den Körper nicht überhaupt auf einen Klumpen, der sämtliche Funktionen erfüllt? Habe ich Ihnen mal von dem Mann erzählt, der seinem Arsch das Reden beibrachte? Sein ganzer Unterleib ging rauf und runter, verstehen Sie, und furzte die Worte raus. War mit Abstand das Ungewöhnlichste, was ich je gehört habe.

»Wenn dieser Arsch redete, dann spürte man die Resonanz direkt in den Eingeweiden. Das traf einen da unten drin, daß man am liebsten gleich losgeschissen hätte. Wissen Sie, wie wenn sich der alte Dickdarm meldet, und so ein kaltes Gefühl kriecht in einem hoch, und man weiß, daß man nur noch zu drücken braucht, und schon flutscht es. Genauso ging einem die Resonanz da unten rein. Ein blubbernder dicker stagnierender Sound, den man buchstäblich riechen konnte.

»Der Mann war im Schaustellergewerbe tätig, und zunächst mal war das sowas wie eine neuartige Bauchredner-Nummer. War anfangs auch wirklich lustig. Er brachte eine Nummer, die nannte er ‹Das bessere Loch›. Zum Brüllen, sage ich Ihnen. Ich habe das meiste wieder vergessen, aber es war clever gemacht. Zum Beispiel: ‹Äh, sag mal, du alter Kumpel da unten, bist du noch da?› ‹Nee. Mußte mich mal kurz erleichtern›. »Nach einiger Zeit ging der Arsch dazu über, von selbst zu reden. Der Mann stellte sich auf die Bretter, ohne vorher etwas geprobt zu haben, und der Arsch ging aus dem Stegreif auf seine Gags ein.

»Dann entwickelte der Arsch so etwas wie kleine zahnähnliche Widerhaken, und jetzt konnte er plötzlich auch essen. Der Mann fand das zuerst ganz witzig, und er baute es zu einer Nummer aus; aber das Arschloch fraß sich durch die Hose und redete auf offener Straße und verlangte lauthals nach Gleichberechtigung. Es betrank sich sogar und flennte dann jedesmal: >Warum liebt mich keiner, und warum werd ich nicht geküßt wie j eder andere Mund auch ? < Schließlich redete es Tag und Nacht, und den Mann konnte man mehrere Straßen weit hören, wie er es anbrüllte, es solle endlich, still sein. Er traktierte es mit Fäusten, er rammte Kerzen rein, aber es half nichts, und das Arschloch sagte zu ihm: >Am Ende wirst du derjenige sein, der das Maul hält, und nicht ich. Du wirst hier nämlich überhaupt nicht mehr gebraucht. Ich kann jetzt reden und essen und scheißen.«

»Schließlich kam es soweit, daß er morgens aufwachte und auf seinem Mund ein Stück durchsichtige Gallerte hatte, die aussah wie ein Kaulquappenschwanz. Diese Gallerte war das, was die Wissenschaft als ›undifferenzier-tes Gewebe‹ bezeichnet: es kann sich am menschlichen Körper zu jeder beliebigen Art von Gewebe entwickeln. Er riß es sich jedesmal vom Mund, aber die Fetzen blieben an seinen Händen kleben wie brennendes Napalm und wuchsen dort fest. Egal wo sie landeten — sie wuchsen überall an. Am Ende wuchs ihm also der Mund zu, und wahrscheinlich hätte sich schließlich der ganze Kopf spontan amputiert — (wußten Sie schon, daß es in manchen Gegenden von Afrika, und zwar nur bei Negern, eine Krankheit gibt, wo sich der kleine Zeh spontan amputiert?)—, aber das ging nicht wegen der Augen, verstehen Sie. Eins konnte das Arschloch nämlich nicht: sehen. Es war also auf die Augen angewiesen. Aber die Nervenstränge wurden nach und nach unterbrochen und starben ab, so daß das Hirn keine Befehle mehr geben konnte. Am Ende war das Hirn völlig abgeschnitten und saß in diesem Schädel in der Falle. Eine Weile konnte man in den Augen noch die hilflose stumme Qual des sterbenden Gehirns verfolgen, dann muß es wohl abgestorben sein, denn die Augen gingen aus und wurden so stumpf und ausdruckslos wie die Stielaugen eines Krebses.    - (lun)

Körperteile, sprechende Arsch

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