Archäopterix  Ich trat ein. Hörte, wie jemand nach Luft schnappte.

Mitten in dem leeren Zimmer stand ein Bett, in dem, die Augen geschlossen, der Mund schwach atmend, eine alte Frau lag.

Archäopterix, dachte ich.

Ja. Wirklich.

Ich hatte solche Knochen in einem Museum gesehen, die zerbrechlichen Reptilienflügel dieses vor Urzeiten ausgestorbenen Vogels, eingeprägt in Sandstein, als seien sie von einem ägyptischen Priester hineingemeißelt worden.

Dieses Bett und sein Inhalt waren wie der Schlick in einem seichten Flußbett. In seiner gemächlichen Strömung zeichnete sich Stroh und ein dünnes Skelett ab, ein hingeworfenes Mikadospiel.

Sie lag so flach und zart hingestreckt da, daß ich nicht glauben konnte, ein lebendes Wesen vor mir zu haben, sondern nur ein Fossil, ungestört vom Voranschreiten der Zeit.

»Ja?« Der winzige vergilbte Kopf, der kaum unter der Tagesdecke hervorlugte, öffnete die Augen. Winzige Lichtscherben funkelten mich an.

»Kanarienvögel?« hörte ich mich fragen. »Das Schild in Ihrem Fenster? Die Vögel?«

»Oh«, seufzte die alte Frau, ».. .je.«

Sie hatte es vergessen. Vielleicht war sie seit Jahren nicht mehr unten gewesen. Und ich war, möglicherweise, der Erste, der in den letzten tausend Tagen hier heraufkam.

»Oh«, flüsterte sie. »Das ist lange her. Kanarienvögel. Ja. Ich hab ein paar sehr schöne gehabt.«

»1920«, flüsterte sie weiter. »1930-31-.« Ihr schwand die Stimme. Weitere Jahre gab es nicht.   - Ray Bradbury, Der Tod ist ein einsames Geschäft. Zürich 1989

 

Tiere, verschwundene Vogel

 

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