postel   Den größten Aufschwung gab dieser Sekte jener Paulus mit der großen Nase und der kahlen Stirn, über den sich Lukian lustig macht. Ein Blick in die Schriften dieses Paulus genügt - wie mir scheint -, um zu sehen, wie recht Lukian hatte. Was für verworrenes Zeug schreibt er doch an die Christengemeinde, die in Rom im jüdischen Slum zusammenkam! »Die Beschneidung ist Euch wohl nütz, wenn Ihr das Gesetz haltet; doch so Ihr das Gesetz nicht haltet, ist Eure Beschneidung schon eine Vorhaut geworden usw. Heben wir denn das Gesetz durch den Glauben auf? Das verhüte Gott! Doch wir stiften den Glauben ... Ist Abraham durch seine Werke gerecht, so hat er wohl Ruhm, aber nicht vor Gott.« Wenn dieser Paulus sich so ausdrückte, fühlte er sich offenbar als Jude und nicht als Christ; er sprach jedoch wohl mehr wie ein besessener Tor, der nicht zwei zusammenhängende Gedanken auseinanderzuhalten vermag.

Und was für einen Brief schrieb er an die Korinther! »Unsere Väter wurden durch Mose in den Wolken und im Meer getauft.« Hat Kardinal Bembo nicht recht, wenn er diese Briefe als eine Briefposse bezeichnet und den Rat gibt, sie nicht zu lesen?

Was soll man von einem Mann halten, der zu den Thessalonichern sagt: »Ich erlaube den Frauen nicht, in der Kirche zu reden«, und der in demselben Brief verkündet, diese sollten unter einem Schleier sprechen und weissagen.

Spricht sein Streit mit den anderen Aposteln dafür, daß er ein kluger und gemäßigter Mann war? Verrät vielmehr nicht alles an ihm den Parteiischen? Er ist Christ geworden, er lehrt das Christentum, und er begibt sich auf Anraten von Jakobus in den Tempel und opfert dort sieben Tage hintereinander, um nicht als Christ zu gelten. Er schreibt an die Galater: »Ich, Paulus, sage Euch, wo Ihr Euch beschneiden lasset, so nützt Euch Jesus Christus nichts.« Und darauf beschneidet er seinen Jünger Timotheus, von dem die Juden behaupten, er sei der Sohn eines Griechen und einer Prostituierten. Er ist unter den Aposteln ein Eindringling und rühmt sich vor den Korinthern im ersten Brief Kapitel IX, Vers 1-6, ebenso ein Apostel zu sein wie die anderen auch: »Bin ich nicht ein Apostel? Habe ich nicht unsern Herrn Jesus Christus gesehen? Seid ihr nicht mein Werk? Bin ich anderen nicht ein Apostel, so bin ich doch wenigstens euer Apostel. Haben wir nicht das Recht, auf eure Kosten zu essen? Haben wir nicht das Recht, ein Weib mit uns umherzuführen, das unsere Schwester ist (oder wenn man so will eine Schwester, die unsere Frau ist), wie die anderen Apostel und des Herrn Brüder tun? Wer zieht jemals in den Krieg auf seine eigenen Kosten? usw.«

Wovon ist an dieser Stelle nicht alles die Rede! Vom Recht, auf Kosten derer zu leben, die er sich unterworfen hat; vom Recht, sie für die Kosten seiner Frau oder seiner Schwester aufkommen zu lassen, und von der Mutmaßung, Maria oder Mirja sei mehr als einmal niedergekommen.

Gern wüßte ich, von wem er im zweiten Brief an die Korinther Kapitel XI, Vers 11, 21-25, spricht: »Das sind falsche Apostel ... sind sie kühn, so bin ich es auch. Sind sie Hebräer? Ich auch. Sind sie aus Abrahams Stamm? Ich auch. Sind sie Diener Jesu Christi? Werfen sie mir vor, ich sei unverschämt, so bin ich es noch mehr als sie. Ich habe mehr gearbeitet als sie; ich bin öfter bestraft, war öfter in Kerkern gefangen als sie, ich habe fünfmal neununddreißig Streiche empfangen, wurde dreimal gestäupt, einmal gesteinigt und habe einen ganzen Tag und eine ganze Nacht in der Tiefe des Meeres zugebracht.«

So ist dieser Paulus also vierundzwanzig Stunden auf dem Meeresgrund gewesen, ohne zu ertrinken. Das ist ein Drittel des Abenteuers von Jonas. - (vol)

Apostel (2)

 Es ist erstaunlich viel Wahrheit darinn, aber keine Erhabenheit. Die wahre Physiognomie eines Geizigen; aber nicht eines geizigen Apostels; eines Niederträchtigen - aber nicht einer großen Seele, die von einer Leidenschaft mächtig ergriffen - zwar ein Satan wird, aber immer noch große Seele bleibt.

Man lache nicht zu früh über diese seltsamen Zusammensetzungen. Sie sind nicht aus der Luft herabgegriffen. Judas ist der niederträchtigste und dennoch ein großer Mann, auch in seinen Unthaten scheint noch der Apostel durch.

Wenn Judas so ausgesehen hätte, wie Holbein ihn zeichnet, so hätte Christus ihn gewiß nicht zum Apostel gewählt. - So ein Gesicht kann's keine Woche in Christus Gesellschaft aushalten. Ist's gleich das niederträchtigste, das sich gedenken läßt; fehlt gleich noch sehr vieles zum vollen Ausdruck der Falschheit, und schmeichelnden Schlauigkeit, so ist's doch für die gute Seite und die großen Anlagen dieses apostolischen Mannes lange nicht gut genug.

Holbeins Judas ist ein Dieb, der tief in der Seele darüber zürnet, daß von den hundert Pfennigen ihm nichts wird, die die Salbe, am Herrn verschwendet, werth seyn mag. Er ist fähig, den besten Menschen, seinen ergrimmtesten Feinden, um einen geringen Preis feil zu bieten. Er lauert auf die Tritte der wohlthätigen Unschuld; er forscht mit schlauer Unruhe das Vorhaben seines Meisters aus. Er fragt mit einer unbeschreiblichen Kälte: Bin ich's? Er bleibt ungerührt, scheint's wenigstens bey der treffendsten Warnung, die je in zehn oder zwölf Worten gegeben worden. Er geht, vom Satan besessen, sich an die Spitze der Verfolger seines Herrn zu stellen - giebt den verfluchtesten Kuß - aller dieser Niederträchtigkeiten ist der Mann fähig, der bey den letzten herzdurchdringendsten Reden des göttlichsten Menschen so gefühllos da liegt, und mit dieser Stirn, diesem Blicke, dieser Lippe dem Herrn ins Angesicht schaut; - aber dieser Stirn, der so manche Niederträchtigkeit möglich ist - Es ist ihr nicht möglich, sich so schnell und so hoch wieder zu erheben, und dem tausendfachen Strome zermalmender Gedanken mit dieser edlen Kraft entgegen zu arbeiten - Judas hat gehandelt wie ein Satan, aber wie ein Satan, der Anlage hatte, ein Apostel zu seyn.

In dem Holbeinischen Gesichte sind wenig Spuren von der mir noch immer ehrwürdigen Größe seiner Seele - Nichts von der furchtbaren Elasticität, die in dem einen Augenblicke an die Pforten der Hölle, in dem andern über die Wolken treibt. Eine abgehärtete, verjährte Bosheit, die sich von Abgrund zu Abgrund fortgewälzt hat: Ein Geiz, der jedes Menschen Empfindung gelassen Hohn spricht, das ist's, was uns vornehmlich in diesem Gesicht auf stößt. - (lav)

Apostel (3)  Nachdem Esculape Nuptial sich vergewissert hatte, daß der Greis eine hinreichende Zahl von Messerstichen erhalten und mit Sicherheit den, wie man gemeinhin sagt, letzten Seufzer getan hatte, dachte er zunächst daran, sich etwas Unterhaltung zu verschaffen.

Dieser gescheite Mann glaubte, das Seil müsse durchaus nicht immer straff gespannt sein; manchmal muß man eben auch mal verschnaufen, und jede Mühe ist ihres Lohnes wert.

Er hatte das Glück gehabt, ein hübsches Stück Geld in die Hände zu bekommen. Lebensfroh und zartbesaiteten Gewissens ging er unter den Kastanien und Platanen auf und ab, um genußvoll die würzigen Düfte des Abends einzusaugen.

Es war Frühling, nicht der zweideutige und rheumatische Frühling der Tagundnachtgleiche, sondern die berauschende Aufwallung des Juni-Anfangs, wenn die verschlungenen Sternbilder der Zwillinge dem des Krebses weichen.

Esculape, von süßen Empfindungen überschwemmt und mit tränenumflorten Augen, fühlte sich als Apostel.

Er wünschte sich das Glück des Menschengeschlechts, die Brüderlichkeit der wilden Tiere, den Schutz der Unterdrückten und die Tröstung derer, die da Leid tragen.

Sein Herz, von Vergebung voll, neigte sich den Bedürftigen zu. Er verstreute mit vollen Händen das Münzgeld, mit dem seine Taschen überreichlich vollgestopft waren.

Er trat sogar in eine Kirche ein und nahm an einem gemeinschaftlichen Gebet teil, das eine fromme Herde rezitierte. Er betete zu Gott und gelobte, seinen Nächsten zu lieben wie sich selbst. Er sagte Dank für die Güter, die er erhalten hatte, wobei er sich dem Nichts entrissen fühlte.

Er bat darum, es möchten die Finsternisse zerstreut werden, die ihm die Häßlichkeit und die Arglist der Sünde verbargen, unterzog sich einer genauen Gewissensprüfung, entdeckte in sich tiefverwurzeltc Unzulänglichkeiten, dauerhafte Mängel: Regungen von Eitelkeit, Spannungen, Unterlassungen, vermessene und wenig barmherzige Urteile usw., vor allem aber Faulheit und Nachlässigkeit in der Ausübung der Pflichten seines Standes.

Er schloß mit dem Gelöbnis, fortan weniger unbeständig zu sein, erflehte den Beistand des Himmels für die Sterbenden und die Reisenden, bat, wie es sich gehört, um nächtlichen Schutz und eilte, von diesen Empfindungen durchdrungen, ins nächste Bordell.

Denn er war den ehrbaren Freuden zugetan. Er war keiner von denen, die sich nur allzu bereitwillig den frivolen Zerstreuungen überlassen. Er hatte vielmehr einen Hang zur Strenge und konnte sich nur mit Mühe einer lächerlichen Feierlichkeit erwehren.

Er tötete, um zu leben — wie die Mehrzahl der ehrbaren Menschen —, weil das Handwerk eben goldenen Boden hat. Er hätte, wie so viele andere auch, stolz sein können angesichts der Gefahren eines so heiklen Berufes. Aber er zog die Verschwiegenheit vor. Wie bei den Windengewächsen entfalteten sich die Blüten seiner Seele nur im Halbschatten. - (bloy)

Apostel (4)  Es war einmal ein biederer Musiker, der sehr schön die Trommel schlug. In der Überzeugung, die kleine Trommel sei über alle anderen Organe der Musik erhaben, schrieb er vor zehn oder zwölf Jahren eine Methode für dieses Instrument, welche er Rossini widmete. Ich wurde aufgefordert, mich über Verdienst und Bedeutung dieser Methode auszusprechen, und richtete an den Verfasser einen Brief, in welchem ich Gelegenheit nahm, ihm als Virtuosen großes Lob zu spenden. »Sie sind der König der Trommler«, sagte ich, »und Sie werden bald zum Trommler der Könige werden. Nie hat jemand in einem französischen, italienischen, englischen, deutschen oder schwedischen Regiment eine Schönheit des Tones besessen, die sich mit der Ihrigen vergleichen ließe. Der eigentliche Mechanismus, die Handhabung der Schlägel läßt Sie in den Augen der Leute, welche Sie nicht kennen, als Hexenmeister erscheinen. Ihr »fla« ist so weich, so verführerisch, so süß! Es ist der reine Honig! Ihr »Ra« ist scharf wie ein Schwert. Und Ihr Wirbeln gleicht der Stimme des Ewigen, es ist ein Donner, es ist ein Blitz, der in eine achtzig Fuß hohe Pappel einschlägt und sie bis an die Wurzel spaltet.«

Dieser Brief machte unseren Virtuosen vor Freude trunken; er hätte darüber den Verstand verloren, wenn dies ein Ding der Möglichkeit gewesen wäre. Er lief in Paris und in der Umgebung von einem Orchester zum anderen und zeigte allen Kameraden seinen ruhmvollen Brief.

Eines Tages aber kam er in einem Zustand unbeschreiblichen Zornes bei mir an: »Mein Herr«, sprach er, »man hatte gestern im Stab der Nationalgarde die Frechheit, mir zu verstehen zu geben, Ihr Brief sei ein Scherz, und Sie hätten mich (wenn ich mich so ausdrücken darf) zum Narren gehalten. Ich bin nicht bösartig, nein, das weiß man, aber der Teufel soll mich holen, wenn ich nicht dem Ersten, der mir das bestimmt ins Gesicht sagt, meinen Säbel durch den Leib renne! . . .«

Armer Mann! Er war der Evangelist der Trommel; er hieß Johannes. - Hector Berlioz, Groteske Musikantengeschichten. Frankfurt am Main 1986 (it 859, zuerst 1859)

Apostel (5)
 

Prediger Priester

 

Oberbegriffe
zurück 

.. im Thesaurus ...

weiter im Text 
Unterbegriffe

 

Verwandte Begriffe
Missionar
Synonyme