Antwort, ehrliche   Er hatte das Vorhandensein eines besonderen Mechanismus festgestellt und seinem Gedächtnis eingeprägt, eines wahren Naturphänomens, darin bestehend, daß nach dem »intimen« Verkehr, wenn die Gedanken des Mannes zu schweifen begannen und er etwa an die Wettervorhersage für morgen dachte oder an die Schuhe, die er in einem Geschäft in der Via Lagrange gesehen hatte, daß dann automatisch die weiblichen Sprechorgane unvermittelt, im Ton honigsüßer Inquisition, die Frage ausstießen: »Woran denkst du?«, eine Frage, auf die am besten mit einer Lüge zu antworten war, obwohl - daran brauchte man keinen Augenblick zu zweifeln - auch die Gedanken der Frau sich bereits auf die in einem Laden der Via XX Settembre gesehenen Schuhe richteten und es gerade dieser Umstand war, der ihr in bezug auf den Partner den Verdacht brutaler Gleichgültigkeit und eines zynischen, unverzeihlichen Materialismus eingab. »Woran denkst du?« fragte die junge Frau neben ihm. Der Kommissar, der die besten Vorsätze hatte, sich aber nicht immer danach richtete, glaubte, daß er in diesem besonderen Fall getrost die Wahrheit sagen könnte. Nicht die wörtliche Wahrheit, da ihn die Frage bei vagen Überlegungen über das Pneuma unterbrochen hatte, die sich einer australischen Striptease-Artistin nur schwer erklären ließen, aber doch eine freimütige und ehrliche Antwort. Denn noch einen Augenblick zuvor harte er an die Schuhe in der Via Lagrange gedacht, die wirklich nicht übel und auch nicht zu teuer schienen, und das Geschäft konnte auch das Mädchen interessieren, weil es gleich hinter dem Hotel lag, in dem sie wohnte.

»An nichts Besonderes, ich dachte gerade an Schuhe, die ich ...«, hob er an. Es war ein schwerer Fehler.  - Fruttero & Lucentini, Wie weit ist die Nacht. München 1989

Antwort Ehrlichkeit

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