Dntikannibalismus  Verzweifelte »Freie« schnitten mit geschliffenen Bandeisen vor allem die Leber jüngst Verstorbener oder auch Sterbender heraus, brieten sie an Scheiterhaufen. Es war zu dieser Vorstellung Kultur notwendig. Siehe Lévy-Strauss, Das Rohe und das Gekochte.

In einer Notiz fragt dieser Altmeister der strukturellen Methode, was denn im bitteren Ernstfall das »Undenkbare« daran wäre, daß wir die Lebern unserer Verstorbenen braten. Zwischen dem Schlachten eines Ochsen und dem Schlachten eines Menschen bestünde kein kultureller Gegensatz, immer vorausgesetzt, daß vor Verzehr gekocht werde. Immerhin sei die Leiche vor dem Schlachten unwiederbringlich tot.

Dem widersprach Frank Guervin, der dem Altmeister eine unmenschliche Argumentation vorwarf. In dem ihm eigenen Zorn antwortete Lévy-Strauss, dem Rezensenten mangle es an Vorstellung von menschlicher Not, von überwältigendem Hunger usw. Er habe von einer Struktur keine Ahnung, die immerhin indifferent dafür sei, ob ein materialistisch menschlicher Instinkt zweitausend Jahre nach dem einen oder dem anderen kulturellen Raster sich entfaltet habe. Wenn es um Universalien gehe, auf deutsch: Strukturen, dann sei das Verhalten der »Freien« von Stalingrad nicht »entsetzlich«, sondern durchaus hochkulturell. Man müsse mit den Vorurteilen vorsichtig umgehen. Darauf ging der Zornige zu Anschuldigungen über. Guervin billige im Kontext die Schlachtfeste von Auschwitz, da er ja auf der Prämisse einer idealistischen Kultur, die diese Schädelstätte hervorbringe, argumentiere. Daß er in L'Humanité publiziere, sei bezeichnend: das Blatt habe auch die Stalinschen Mordprozesse spät, also nicht zur rechten Zeit verurteilt. Verurteilungen seien den vorhochkulturellen bzw. hochkulturellen Taten im übrigen unangemessen. »Mit schönstein Gruß Lévy-Strauss«, schlossen die in der Zeitschrift Survey anthropologique veröffentlichten Zeilen.

Zu dem Zeitpunkt, zu dem »die Organisation des Kessels ihren Angehörigen die Freiheit gab«, die Bewachungsmannschaften der Sowjets aber ihre Herrschaft ebenso unvorbereitet nicht ergriffen, kamen die Menschenfresser, »zunächst scheu, schlichen sich nachts an die Leichen heran, hackten hier oder dort ein Glied ab und verschlangen das Fleisch roh«. Sie suchten aber - bald erfahrener oder noch »kulturell befangen« - nach frisch Verstorbenen, die noch nicht erkaltet und darum angeblich genießbarer waren. Schließlich taten sie sich zu Gruppen zusammen, die den Widerstand brachen, der sich ihnen entgegenstellte; sie leisteten Sterbehilfe.

Die Kontrollen in den Lagern stellten Antikannibalismusgruppen aus den Reihen der Offiziere auf, die, mit Stemmeisen und Hämmern bewaffnet, jeden Kannibalen, den sie fanden, töten sollten. Diese Späher hielten Tag und Nacht nach den verräterischen kleinen Feuern Ausschau, an denen die Menschenfresser ihre Mahlzeiten zubereiteten.

Dr. med. R., an einem dieser Patrouillengänge beteiligt, überraschte hinter einer Baracke einen Mann, der an einem Stock einen Gegenstand über dem Feuer briet. Zunächst dachte er, es sei Wurst, dann aber entdeckten die erfahrenen Augen des Arztes die zieharmonikaförmige Struktur der »Wurst«, d.h., der Mann briet sich eine Luftröhre.

Leutnant C. fand Menschenköpfe, denen das Hirn entnommen war, Körper, denen die Nieren oder die Leber fehlten.   - (klu)

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