nmachen  Die Erfahrung hat mich gelehrt, daß bei Intellektuellen sämtliches Vorgeplänkel auf der geistigen und sprachlichen Ebene stattfindet. Wollen Sie eine Intellektuelle anmachen? Völlig sinnlos, ihr an den Hintern zu greifen. Sie würde in die Luft springen. Statt dessen: erst mal eine Weile schweigend dasitzen, mit drei Metern Abstand, das ist die richtige Entfernung, sie nicht anfassen und nichts, dann - ohne jede Bewegung oder sonst was - sie nach etwas ganz Eindeutigem in Sachen Sex fragen, aber gleichsam aus rein intellektuellem Interesse.

Meine Masche ist es, plötzlich zu fragen, ob ich Ekel oder Lust errege. Denn im einen wie im anderen Fall, behaupte ich, könne das unsere Beziehung stören.

»Nichts dergleichen«, sagt Jacquie und steckt sich eine Kippe an, um ihre Verwirrung in den Griff zu bekommen.

Ich schaue sie lange an. Die Kunst des Schweigens beherrschen.

»Beides liefe ohnehin aufs selbe hinaus«, sage ich. »Hinter dem Ekel steckt die Lust. Hinter der Lust steckt der Ekel.«

Ich sehe, daß ich einen Volltreffer gelandet habe, aber ich lasse mir nichts anmerken.   - Jean-Patrick Manchette, Rette deine Haut, Killer. Bergisch Gladbach 1990 (zuerst 1971)

Anmachen (2)   Sie tranken sehr viel Sekt.

»Ich kann Italienisch lesen«, meinte Miss Brentino, »aber nicht Französisch.« Sie betrachtete die Wand auf der anderen Seite der leeren Tanzfläche. »Was steht auf dem Schild da?« Ihre tiefe Stimme jagte Crane wohlige Schauer über den Rücken.

Das Schild befand sich an der Fassade der kunstvoll gemalten Darstellung des Hôtel des Deux Anges. Crane übersetzte: »Zimmer tage- oder stundenweise.«

Er fügte hinzu: »Ich glaube, das Hotel ist ein bißchen anrüchig.«

»Es ist modern«, sagte Miss Brentino. Ihr Gesicht war gleichmütig, fast kalt und fast abweisend, aber Crane spürte die Leidenschaft, die ihre geschwungenen Lippen verhießen. Er sagte: »In Sie könnt ich mich gewaltig verknallen — genaugenommen bin ich's schon.«

Ihre feucht glänzenden Augen waren spöttisch. »Meinen Sie ›Zimmer stundenweise‹?« fragte sie.

»Ich hätt nichts dagegen«, sagte er ernst. »Für Sie würd ich sogar eins tageweise nehmen.« Er leerte sein Weinglas.

»Tut mir leid.« Ihr Gesicht war plötzlich nicht mehr verschlossen. »Ich mag Detektive, aber meine Freizeit ist total ausgebucht.«

»Woodbury?«

Sie nickte.

Williams erzählte Miss Martin gerade vom Rauschgiftschmuggel in San Francisco. »Da hab ich das Schlitzauge am Zopf gepackt wie 'ne Katze am Schwanz«, sagte er, »und ihn so weit in die Bucht rausgeschmissen, daß sie ihm 'n Küstenwachboot nachschicken mußten.«

Miss Martin bemerkte, daß die anderen beiden sie ansahen. »Mr. Williams führt ein schrecklich aufregendes Leben«, rief sie aus. »Er erzählt mir gerade, wie er den Rauschgifthandel in Kalifornien gestoppt hat. Er hat vier Männer umbringen müssen...«

»Och, die zählen doch nicht.« Williams rückte seine Fliege zurecht. »Das waren bloß Chinesen.« Er spielte den Verlegenen. - Jonathan Latimer, Wettlauf mit der Zeit. Zürich 1990 (zuerst 1935)

Anmachen (2)  Sie kam; unsicheren Schrittes und gesenkten Kopfes, hob auch nicht die Augen, bevor sie an meiner Seite stand; Augen von einem dunklen Azur, dessen ganze Tiefe ich jetzt nur erahnen konnte; sah mich schüchtern und wortlos an. Ich deutete stumm auf eine Bank; sie folgte mir bereitwillig. Sie wartete: worauf zum Teufel wartete sie nur? Natürlich daß ich sprechen würde. Aber ich wußte nicht, was ich sagen sollte, beziehungsweise mein Stolz erlaubte mir keine der üblichen Gelegenheitsfloskeln. Wieso eigentlich, oder vielmehr, was hatte mein Stolz mit diesem dummen Gänschen zu tun? Das war eine andere Sache. Oder fand ich gerade daran Gefallen, an dieser langen absurden Pause, an ihrer bangen Verlegenheit und zugleich auch daran, daß ich mir lächerlich vorkam? Jedenfalls blieb ich ihr gegenüber schon wieder stumm, was meine zweifache Gehässigkeit nur verstärkte.

Schließlich mußte sie als erste etwas sagen. «Es ist schön hier», meinte sie zweifelnd und sah mit einem kurzen Seufzer um sich.

«Schön! Was finden Sie denn hier Schönes?» brach meine ganze Wut aus mir heraus. Wirklich konnte man da, wo wir waren, von der ganzen Gartenanlage nur ein paar kümmerliche Bäume und eine nackte Fläche sehen, die vor den sonntäglichen Heimsuchungen durch Hunde und Kinder vielleicht einmal ein grasbewachsener Hang gewesen war.

«Aber hier ist es doch offen . . . und frei», erwiderte sie und wurde verlegen und warf mir einen unruhigen Blick zu.

Oh, endlich (wie mir schien) etwas Konkretes, auf dem man aufbauen konnte: sie fühlte sich unterdrückt in ihrer Kleinstadt, ihre Seele sehnte sich nach . . . und so fort; hier konnte man doch ansetzen.

«Nun, arme Seele», deklamierte ich und stimmte mein Verführungsinstrument ein, «ist das Ihre ganze Freiheit oder sind Ihre Herzschläge so unterdrückt, daß Ihnen ein derart begrenzter Raum schon als weit erscheint? Begrenzt allemal, auch wenn man da vorne ein großes Tal, einen Fluß und ein entferntes Gebirge erkennen kann. Und doch gibt es grenzenlose Horizonte für unser aller Sinne, Gedanken und Empfindungen; und doch gibt es eine Freiheit, die keine simple Ausflucht aus Überdruß, Erschrecken, Unterdrückung durch Personen oder Dinge darstellt, eine Freiheit, die uns tötet und alles, was uns lieb und verhaßt ist, mit sich reißt, bevor sie uns in einem anderen Land und unter einem anderen Himmel geläutert zu neuem Leben erweckt, bevor sie sich mit unserem Herzblut verwirklicht, bevor sie uns entrückt . . .»

Teufel, wohin sollte sie uns eigentlich entrücken? In den Himmel konnte ich nicht sagen, den Begriff hatte ich eben erst benutzt.  - Tommaso Landolfi, Ewige Provinz, nach (land)

Anmachen (3) Er fragte mich: »Bist du steif genug, um rotzruhig etwas zu probieren, was ich dir empfehle?« Mir wurde kalt und heiß. Ich sagte: »Was ist es?« Ernst sagte: »Gehe durch die Stadt und mache die Augen auf. Und wenn du eine Frau triffst, die dir wirklich gefällt - aber, bei Gott, Ernst, auch nur dann - dann gehe zu ihr und sage keinen Ton, lege ihr eine Flosse fest auf ihren Arsch und sieh der Frau ruhig in die Augen, ruhig und fest und ohne Kommentar. Wenn die Frau stehenbleibt, dann will sie dich. Wenn sie Geschrei macht, dann sagst du zu ihr: ›Entschuldige, Frau, ich habe nichts gesehen und nichts gehört‹, drehst dich um und gehst. Und probierst das bei der nächsten, die dir wirklich gefällt. Sonst geht das in die Hose. Ich wette, bei dir geht schon die erste mit. Es sei denn, daß du üben mußt. Aber die dritte ist dann reif, in deinem Fall. Denn du bist ein gewendeter Hund jetzt, du hast gesprochen.«  - (kap)

Anmachen (4)   Mr. Wooly brach das Eis mit einer kurzen Darlegung seiner Einstellung zu Cocktails und anderen alkoholischen Getränken. »Ich rühre nichts dergleichen an - nie«, sagte er, was für Betty eine Neuigkeit war, allerdings keine erfreuliche, denn sie hatte gerade überlegt, daß in einer Situation wie dieser nichts dringender erforderlich war als zwei oder drei von der guten, alten Sorte, einer amphibischen Art von Gebräu oder Gericht, das sie besonders schätzte; sie vertrat nämlich die Ansicht, daß es nicht nur leichter zu essen war als Obstsalat, mit dem es große Ähnlichkeit hatte, sondern daß es vor allem viel hübscher und schneller wirkte.

Aber anstelle der guten, alten Sorte nahmen sie jeder ein Glas Möhrensaft, berstend voll - versicherte Mr. Wooly - von Vitaminen. Hierbei berührte Mr. Wooly verschiedene Themen, von denen er entschieden hatte, daß sie sich als für Betty von Interesse erweisen könnten, für dieses gutaussehende Mädchen, das er jetzt schon einen ganzen Monat lang fast täglich sah und das ihm doch so völlig fremd war. Er erörterte die Erziehung seiner Tochter Sara. Sie war fünfzehn Jahre alt und besuchte eine Schule in New Rochelle. Dann war da die Geschichte mit der Versicherungspolice für das Hotel Monroe. Sie hatten sie gerade erst ausgestellt, wirklich ein sehr nettes kleines Geschäftchen. Offenbar angeregt durch den Möhrensaft, stürzte sich Mr. Wooly auf ein Gericht aus verschiedenen Mineralsalzen wie Eisen, Kalzium, Magnesium und dergleichen. Sie erschienen in Gestalt von Sellerie und Nüssen, Tomatenscheiben und Schmelzkäse. Während er sich durch sie hindurchschnurpste und -knirschte, hielt Mr. Wooly Betty mit seinen großen braunen Augen in Schach und erzählte ihr von sich selbst. - Thorne Smith, Meine Frau, die Hexe. Frankfurt am Main 1989 (Fischer-Tb., Bibliothek der phantastischen Abenteuer, zuerst 1941)

Anmachen (5)   es war an einem Tag, da ich seit langem wieder in den Wald ging und Brigitte traf, die ich nur vom Hörensagen als anständiges Mädchen kannte aus dem Mund meiner Frau Susn. Aber Sie sind doch nicht alt sagte und neben so uralten plumpen Eichen im Wald fühlte ich mich jung. Was Sie nicht sagen Herr Achternbusch, sagte sie, Sie und alt, jetzt gehns aber weiter, Sie sind im besten Alter. Aber Fräulein Birgi sagte ich, jetzt schmeicheln Sie mir aber, das braucht.es nicht, Sie wissen doch, daß meine Frau immer bei Ihrem Herrn Vater einkauft, wir gehn zu keinem anderen Bäcker im Dorf. Ist ja auch nur einer da, sagt sie. Ja, sag ich, Sie wissen schon, was ich meine. So, fragt sie erstaunt, was denn? Aber Fräulein Birgi, sag ich, mich interessiert nur Ihr Laden. Na Sie alter Depp, wie meinen Sie das denn, fragte sie. Na sag ich, kleines Pritscherl, wirst schon wissen was ich mein. Schau her die Natur ist schön, die Natur hat sich geschmückt, wozu meinst du hat sie sich geschmückt? meinst du etwa für die Maikäfer oder für unseren lieben Herrgott, geh weiter, das könntest du doch nicht selber glauben? Oder meinst du für die Leute, die arbeiten, die sehn doch nichts davon? Oder meinst, die Natur wird gemacht für zwei Tag in der Woche, da diese Leute nichts zu tun ham und die ganze Luft stinkt nach deren Langweiligkeit? Na na für zwei Tag richtet sich die Natur nicht her, Fräulein Birgi, das dürfen Sie mir glauben, das weiß ich schon. Ja wenn Sie meinen, Herr Achternbusch, was meinen Sie denn, wenn Sie recht ham, daß i dann tun soll. Aber Fräulein Birgi, Sie sind doch a kluges Kind, meinen Sie, daß i will, daß Sie mir einen Vertrag unterschreim? Glauben Sie, daß ich Sie zum Protokollschreiben brauch? Sie kennen mich doch, i bin a alter Mann, der bloß noch lebt und des net gut. Aber jetzt hörn Sie mir aber auf, Herr Achternbusch, jetzt sagen Sie mir doch was i für Sie tun kann, bitte, i bitt Sie. Birga was redst denn, du tust ja dei Hosn scho runter.  - (acht)

Anmachen (6)  Er nahm seinen ganzen Mut zusammen und näherte sich der Vagabundin. Auf den ersten Blick kam sie ihm vor wie eine jener etwas dicken Frauen, die im Grunde mager sind, als er sie aber genauer ansah, begriff er, daß sie mager war, aber einen Hang zum Dickwerden hatte. Auch in ihrer Haarfarbe hatte er sich getäuscht, als er glaubte, sie sei braunblond, denn in Wirklichkeit war sie blondbraun. Auf jeden  Fall spürte er, daß diese Vagabundin ihm gefiel.

Mozziconi wußte, daß man am leichtesten Freundschaft schließt, indem man zu reden anfängt und daß er als erster reden mußte, weil der Mann ein Gespräch anzuknüpfen hat. Doch was konnte er sagen? Er hätte ihr gern sein Leben erzählt, aber er hatte gar kein Leben zu erzählen, weil das Leben vor allem aus Freunden besteht und aus den Dingen, die man mit ihnen unternimmt. Mozziconi hatte keine Freunde und nicht einmal Verwandte oder zumindest wußte er nichts von ihnen.

Mozziconi öffnete den Mund, um zu reden, aber er brachte kein einziges Wort heraus. Er wußte wirklich nicht, was sagen. Er versuchte ihr in die Augen zu schauen, um mehr Vertrauen zu gewinnen; doch der Blick der Frau wich aus, weil sie nur ein Auge hatte und mit diesem einen schielte. Endlich gelang es Mozziconi, eine Frage zu stellen.

- Was meinst du, sagte Mozziconi, wenn einer das Unendliche in vier Teile teilt, ist dann jedes Viertel immer noch unendlich?

Die Frau riß ihr einziges Auge weit auf, drehte sich um, lief davon und verschwand im Gebüsch.  - Luigi Malerba, Geschichten vom Ufer des Tiber. Frankfurt am Main 1997

 

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