Meine Masche ist es, plötzlich zu fragen, ob ich Ekel oder Lust errege. Denn im einen wie im anderen Fall, behaupte ich, könne das unsere Beziehung stören.
»Nichts dergleichen«, sagt Jacquie und steckt sich eine Kippe an, um ihre Verwirrung in den Griff zu bekommen.
Ich schaue sie lange an. Die Kunst des Schweigens beherrschen.
»Beides liefe ohnehin aufs selbe hinaus«, sage ich. »Hinter dem Ekel steckt die Lust. Hinter der Lust steckt der Ekel.«
Ich sehe, daß ich einen Volltreffer gelandet habe, aber ich lasse mir nichts
anmerken. - Jean-Patrick
Manchette, Rette deine Haut, Killer. Bergisch Gladbach 1990 (zuerst 1971)
»Ich kann Italienisch lesen«, meinte Miss Brentino, »aber nicht Französisch.« Sie betrachtete die Wand auf der anderen Seite der leeren Tanzfläche. »Was steht auf dem Schild da?« Ihre tiefe Stimme jagte Crane wohlige Schauer über den Rücken.
Das Schild befand sich an der Fassade der kunstvoll gemalten Darstellung des Hôtel des Deux Anges. Crane übersetzte: »Zimmer tage- oder stundenweise.«
Er fügte hinzu: »Ich glaube, das Hotel ist ein bißchen anrüchig.«
»Es ist modern«, sagte Miss Brentino. Ihr Gesicht war gleichmütig, fast kalt und fast abweisend, aber Crane spürte die Leidenschaft, die ihre geschwungenen Lippen verhießen. Er sagte: »In Sie könnt ich mich gewaltig verknallen — genaugenommen bin ich's schon.«
Ihre feucht glänzenden Augen waren spöttisch. »Meinen Sie ›Zimmer stundenweise‹?« fragte sie.
»Ich hätt nichts dagegen«, sagte er ernst. »Für Sie würd ich sogar eins tageweise nehmen.« Er leerte sein Weinglas.
»Tut mir leid.« Ihr Gesicht war plötzlich nicht mehr verschlossen. »Ich mag Detektive, aber meine Freizeit ist total ausgebucht.«
»Woodbury?«
Sie nickte.
Williams erzählte Miss Martin gerade vom Rauschgiftschmuggel in San Francisco. »Da hab ich das Schlitzauge am Zopf gepackt wie 'ne Katze am Schwanz«, sagte er, »und ihn so weit in die Bucht rausgeschmissen, daß sie ihm 'n Küstenwachboot nachschicken mußten.«
Miss Martin bemerkte, daß die anderen beiden sie ansahen. »Mr. Williams führt ein schrecklich aufregendes Leben«, rief sie aus. »Er erzählt mir gerade, wie er den Rauschgifthandel in Kalifornien gestoppt hat. Er hat vier Männer umbringen müssen...«
»Och, die zählen doch nicht.« Williams rückte seine Fliege zurecht. »Das
waren bloß Chinesen.« Er spielte den Verlegenen. - Jonathan
Latimer, Wettlauf mit der Zeit. Zürich 1990 (zuerst 1935)
Schließlich mußte sie als erste etwas sagen. «Es ist schön hier», meinte sie zweifelnd und sah mit einem kurzen Seufzer um sich.
«Schön! Was finden Sie denn hier Schönes?» brach meine ganze Wut aus mir heraus. Wirklich konnte man da, wo wir waren, von der ganzen Gartenanlage nur ein paar kümmerliche Bäume und eine nackte Fläche sehen, die vor den sonntäglichen Heimsuchungen durch Hunde und Kinder vielleicht einmal ein grasbewachsener Hang gewesen war.
«Aber hier ist es doch offen . . . und frei», erwiderte sie und wurde verlegen und warf mir einen unruhigen Blick zu.
Oh, endlich (wie mir schien) etwas Konkretes, auf dem man aufbauen konnte: sie fühlte sich unterdrückt in ihrer Kleinstadt, ihre Seele sehnte sich nach . . . und so fort; hier konnte man doch ansetzen.
«Nun, arme Seele», deklamierte ich und stimmte mein Verführungsinstrument ein, «ist das Ihre ganze Freiheit oder sind Ihre Herzschläge so unterdrückt, daß Ihnen ein derart begrenzter Raum schon als weit erscheint? Begrenzt allemal, auch wenn man da vorne ein großes Tal, einen Fluß und ein entferntes Gebirge erkennen kann. Und doch gibt es grenzenlose Horizonte für unser aller Sinne, Gedanken und Empfindungen; und doch gibt es eine Freiheit, die keine simple Ausflucht aus Überdruß, Erschrecken, Unterdrückung durch Personen oder Dinge darstellt, eine Freiheit, die uns tötet und alles, was uns lieb und verhaßt ist, mit sich reißt, bevor sie uns in einem anderen Land und unter einem anderen Himmel geläutert zu neuem Leben erweckt, bevor sie sich mit unserem Herzblut verwirklicht, bevor sie uns entrückt . . .»
Teufel, wohin sollte sie uns eigentlich entrücken? In den Himmel
konnte ich nicht sagen, den Begriff hatte ich eben erst benutzt. - Tommaso Landolfi, Ewige Provinz, nach (
land
)
- (
kap
)
Anmachen (4) Mr. Wooly brach das Eis mit einer kurzen Darlegung seiner Einstellung zu Cocktails und anderen alkoholischen Getränken. »Ich rühre nichts dergleichen an - nie«, sagte er, was für Betty eine Neuigkeit war, allerdings keine erfreuliche, denn sie hatte gerade überlegt, daß in einer Situation wie dieser nichts dringender erforderlich war als zwei oder drei von der guten, alten Sorte, einer amphibischen Art von Gebräu oder Gericht, das sie besonders schätzte; sie vertrat nämlich die Ansicht, daß es nicht nur leichter zu essen war als Obstsalat, mit dem es große Ähnlichkeit hatte, sondern daß es vor allem viel hübscher und schneller wirkte.
Aber anstelle der guten, alten Sorte nahmen sie jeder ein Glas Möhrensaft,
berstend voll - versicherte Mr. Wooly - von Vitaminen. Hierbei berührte Mr.
Wooly verschiedene Themen, von denen er entschieden hatte, daß sie sich als
für Betty von Interesse erweisen könnten, für dieses gutaussehende Mädchen,
das er jetzt schon einen ganzen Monat lang fast täglich sah und das ihm doch
so völlig fremd war. Er erörterte die Erziehung seiner Tochter Sara. Sie war
fünfzehn Jahre alt und besuchte eine Schule in New Rochelle. Dann war da die
Geschichte mit der Versicherungspolice für das Hotel Monroe. Sie hatten sie
gerade erst ausgestellt, wirklich ein sehr nettes kleines Geschäftchen. Offenbar
angeregt durch den Möhrensaft, stürzte sich Mr. Wooly auf ein Gericht aus verschiedenen
Mineralsalzen wie Eisen, Kalzium, Magnesium und dergleichen. Sie erschienen
in Gestalt von Sellerie und Nüssen, Tomatenscheiben und Schmelzkäse. Während
er sich durch sie hindurchschnurpste und -knirschte, hielt Mr. Wooly Betty mit
seinen großen braunen Augen in Schach und erzählte ihr von sich selbst. -
Thorne Smith, Meine Frau, die Hexe. Frankfurt am Main 1989 (Fischer-Tb., Bibliothek
der phantastischen Abenteuer, zuerst 1941)
Anmachen (5) es war an einem Tag, da ich seit
langem wieder in den Wald ging und Brigitte traf, die ich nur vom Hörensagen
als anständiges Mädchen kannte aus dem Mund meiner Frau Susn. Aber Sie sind
doch nicht alt sagte und neben so uralten plumpen Eichen im Wald fühlte ich
mich jung. Was Sie nicht sagen Herr Achternbusch, sagte sie, Sie und alt, jetzt
gehns aber weiter, Sie sind im besten Alter. Aber Fräulein Birgi sagte ich,
jetzt schmeicheln Sie mir aber, das braucht.es nicht, Sie wissen doch, daß meine
Frau immer bei Ihrem Herrn Vater einkauft, wir gehn zu keinem anderen Bäcker
im Dorf. Ist ja auch nur einer da, sagt sie. Ja, sag ich, Sie wissen schon,
was ich meine. So, fragt sie erstaunt, was denn? Aber Fräulein Birgi, sag ich,
mich interessiert nur Ihr Laden. Na Sie alter Depp, wie meinen Sie das denn,
fragte sie. Na sag ich, kleines Pritscherl, wirst
schon wissen was ich mein. Schau her die Natur ist schön, die Natur hat sich
geschmückt, wozu meinst du hat sie sich geschmückt? meinst du etwa für die Maikäfer
oder für unseren lieben Herrgott, geh weiter, das könntest du doch nicht selber
glauben? Oder meinst du für die Leute, die arbeiten, die sehn doch nichts davon?
Oder meinst, die Natur wird gemacht für zwei Tag in der Woche, da diese Leute
nichts zu tun ham und die ganze Luft stinkt nach deren Langweiligkeit? Na na
für zwei Tag richtet sich die Natur nicht her, Fräulein Birgi, das dürfen Sie
mir glauben, das weiß ich schon. Ja wenn Sie meinen, Herr Achternbusch, was
meinen Sie denn, wenn Sie recht ham, daß i dann tun soll. Aber Fräulein Birgi,
Sie sind doch a kluges Kind, meinen Sie, daß i will, daß Sie mir einen Vertrag
unterschreim? Glauben Sie, daß ich Sie zum Protokollschreiben brauch? Sie kennen
mich doch, i bin a alter Mann, der bloß noch lebt und des net gut. Aber jetzt
hörn Sie mir aber auf, Herr Achternbusch, jetzt sagen Sie mir doch was i für
Sie tun kann, bitte, i bitt Sie. Birga was redst denn, du tust ja dei Hosn scho
runter. - (acht)
Anmachen (6) Er nahm seinen ganzen Mut zusammen und näherte sich der Vagabundin. Auf den ersten Blick kam sie ihm vor wie eine jener etwas dicken Frauen, die im Grunde mager sind, als er sie aber genauer ansah, begriff er, daß sie mager war, aber einen Hang zum Dickwerden hatte. Auch in ihrer Haarfarbe hatte er sich getäuscht, als er glaubte, sie sei braunblond, denn in Wirklichkeit war sie blondbraun. Auf jeden Fall spürte er, daß diese Vagabundin ihm gefiel.
Mozziconi wußte, daß man am leichtesten Freundschaft schließt, indem man zu reden anfängt und daß er als erster reden mußte, weil der Mann ein Gespräch anzuknüpfen hat. Doch was konnte er sagen? Er hätte ihr gern sein Leben erzählt, aber er hatte gar kein Leben zu erzählen, weil das Leben vor allem aus Freunden besteht und aus den Dingen, die man mit ihnen unternimmt. Mozziconi hatte keine Freunde und nicht einmal Verwandte oder zumindest wußte er nichts von ihnen.
Mozziconi öffnete den Mund, um zu reden, aber er brachte kein einziges Wort heraus. Er wußte wirklich nicht, was sagen. Er versuchte ihr in die Augen zu schauen, um mehr Vertrauen zu gewinnen; doch der Blick der Frau wich aus, weil sie nur ein Auge hatte und mit diesem einen schielte. Endlich gelang es Mozziconi, eine Frage zu stellen.
- Was meinst du, sagte Mozziconi, wenn einer das Unendliche in vier Teile teilt, ist dann jedes Viertel immer noch unendlich?
Die Frau riß ihr einziges Auge weit auf, drehte sich um, lief davon und verschwand
im Gebüsch. -
Luigi Malerba, Geschichten vom Ufer des Tiber. Frankfurt am Main 1997
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