nkommen  lt is better to travel hopefully than to arrive, zitiert R. L. Stevenson die Weisheit eines japanischen Sprichworts. Wörtlich übersetzt heißt das natürlich: Es ist besser, hoffnungsfroh zu reisen, als anzukommen; etwas sinngemäßer: Im Aufbruch, nicht am Ziele liegt das Glück.

Die Japaner sind freilich nicht die einzigen, denen vor dem Ankommen nicht recht geheuer ist. Schon Laotse empfahl, das Werk zu vergessen, sobald es beendet ist. Auch George Bernard Shaw kommt einem zu diesem Thema in den Sinn, mit seinem berühmten, oft plagiierten Aphorismus: »Im Leben gibt es zwei Tragödien. Die eine ist die Nichterfüllung eines Herzenswunsches. Die andere ist seine Erfüllung.« Hermann Hesses Verführer fleht die Verkörperung seines Begehrens an: »Wehr dich, du schöne Frau, straff dein Gewand! Entzücke, quäle — doch erhör mich nicht!«, denn er weiß, »daß jede Wirklichkeit den Traum vernichtet«.

Weniger poetisch, dafür um so ausführlicher, hat sich Hesses Zeitgenosse Alfred Adler mit diesem Problem herumgeschlagen. Sein Werk, dessen Wiederentdeckung überfällig ist, befaßt sich unter anderem eingehend mit dem Lebensstil der ewig Reisenden und vorsichtshalber lieber nicht Ankommenden. - Paul Watzlawick, Anleitung zum Unglücklichsein. München und Zürich 1983

Ankommen (2) Sobald ein Mann allein in einem fremden Ort ankommt, überfällt ihn das Gefühl trostloser Einsamkeit. Unablässig kehrt der Gedanke zurück zu der Landschaft, xu den Straßen, zu den Mauern, die wir verließen. Begegnet man aber einer Frau, die bereit ist, sich hinzugeben, so ist sie für uns sogleich eine neue Welt, ein neues Vaterland; ihre Zärtlichkeit, aufrichtig oder simuliert, umgibt uns wie eine schützende Kapsel. Sie verleiht gleichsam eine Exterritorialität, eine Art Asylrecht. Die Frau ist für den Landesverwiesenen ein Stück Heimat auf fremder Erde. Das Auswanderungskommissariat müßte an der Grenze einen Dienst einrichten für die Verteilung von Frauen an die einsamen Auswanderer.  - Pitigrilli, Kokain. Reinbek bei Hamburg 1988 (rororo 12225, zuerst 1922)

Ankommen (3)  Der Kaiser, so heißt es, hat Dir, dem Einzelnen, dem jämmerlichen Untertanen, dem winzig vor der kaiserlichen Sonne in die fernste Ferne geflüchteten Schatten, gerade Dir hat der Kaiser von seinem Sterbebett aus eine Botschaft gesendet. Den Boten hat er beim Bett niederknien lassen und ihm die Botschaft zugeflüstert; so sehr war ihm an ihr gelegen, daß er sich sie noch ins Ohr wiedersagen ließ. Durch Kopfnicken hat er die Richtigkeit des Gesagten bestätigt. Und vor der ganzen Zuschauerschaft seines Todes — alle hindernden Wände werden niedergebrochen und auf den weit und hoch sich schwingenden Freitreppen stehen im Ring die Großen des Reiches — vor allen diesen hat er den Boten abgefertigt. Der Bote hat sich gleich auf den Weg gemacht; ein kräftiger, ein unermüdlicher Mann; einmal diesen, einmal den andern Arm vorstreckend, schafft er sich Bahn durch die Menge; findet er Widerstand, zeigt er auf die Brust, wo das Zeichen der Sonne ist; er kommt auch leicht vorwärts wie kein anderer. Aber die Menge ist so groß; ihre Wohnstätten nehmen kein Ende. öffnete sich freies Feld, wie würde er fliegen und bald wohl hörtest Du das herrliche Schlagen seiner Fäuste an Deiner Tür. Aber statt dessen, wie nutzlos müht er sich ab; immer noch zwängt er sich durch die Gemächer des innersten Palastes; niemals wird er sie überwinden; und gelänge ihm dies, nichts wäre gewonnen; die Treppen hinab müßte er sich kämpfen; und gelänge ihm dies, nichts wäre gewonnen; die Höfe wären zu durchmessen; und nach den Höfen der zweite umschließende Palast; und wieder Treppen und Höfe; und wieder ein Palast; und so weiter durch Jahrtausende; und stürzte er endlich aus dem äußersten Tor — aber niemals, niemals kann es geschehen —, liegt erst die Residenzstadt vor ihm, die Mitte der Welt, hochgeschüttet voll ihres Bodensatzes. Niemand dringt hier durch und gar mit der Botschaft eines Toten. — Du aber sitzt an Deinem Fenster und erträumst sie Dir, wenn der Abend kommt.  - (kaf)

Ankommen (4)  Eine der schwersten Anklagen gegen den Sultan war es, daß er die Einwohner von Delhi zwang, ihre Stadt zu verlassen. Er hatte, wie er glaubte, Grund, sie zu bestrafen. Sie pflegten ihm Briefe zu schreiben, in denen er beschimpft und beleidigt wurde. Sie versiegelten sie, adressierten sie: ›An den Herrn der Welt, nur von ihm persönlich zu lesen‹, und warfen sie nachts in die Audienzhalle. Wenn der Sultan das Siegel erbrach, fand er nichts als Schimpf und Beleidigungen. Er beschloß, Delhi in Trümmer zu legen, und nachdem er allen Einwohnern ihre Häuser und Wohnstätten abgekauft und den vollen Preis dafür gezahlt hatte, befahl er ihnen, nach Daulatabad zu ziehen, das er als seine Hauptstadt einrichten wollte. Sie weigerten sich; er ließ darauf durch seinen Herold verkündigen, daß nach Ablauf von drei Tagen kein Mensch in der Stadt gefunden werden dürfe. Die Mehrzahl fügte sich dem Befehl, aber einige versteckten sich in ihren Häusern. Der Sultan ließ die Stadt nach Personen, die dageblieben seien, durchsuchen. Seine Sklaven fanden zwei Männer auf der Straße, einen Krüppel und einen Blinden. Sie wurden vor ihn gebracht; er befahl, daß der Krüppel aus einem Katapult hinausgeschossen und der Blinde von Delhi nach Daulatabad geschleift werden solle; das war eine Reise von vierzig Tagen. Auf dem Wege fiel er in Stücke und alles, was von ihm in Daulatabad anlangte, war ein Bein.  - (cane)

Ankommen (5)  Über dem Rathaus war ein dunkler Fleck, ein Kegel, finsterer als die ihn umgebende Nacht. Ein schwarzes Prisma, das sich ausbreitete und sich am Himmel verlor.

Er lauschte. Großer Gott, er hörte etwas. Etwas, das in ihm den verzweifelten Wunsch weckte, seine Ohren, seinen Verstand zu verschließen, das Geräusch zu verdrängen. Ein fernes, gedämpftes Summen wie von einem großen Bienenschwarm.

Loyce starrte hinauf, vor Grauen wie erstarrt. Der dunkle Fleck, der über dem Rathaus hing. So dunkel, daß er fast massiv wirkte. In dem Strudel bewegte sich etwas. Flimmernde Formen. Dinge, die vom Himmel herabkamen, einen Augenblick über dem Rathaus innehielten, in einem dichten Schwarm darüber flatterten und dann geräuschlos aufs Dach fielen.

Formen. Flatternde Formen vom Himmel. Aus dem dunklen Riß, der über ihnen hing.

Er sah - sie.

Loyce beobachtete sie lange, hinter einen schiefen Zaun gekauert, in einer dreckigen Wasserpfütze.

Sie landeten. Kamen in Gruppen herab, landeten auf dem Dach des Rathauses und verschwanden in dessen Innern. Sie hatten Flügel. Wie irgendwelche riesigen Insekten. Sie flogen und flatterten und ließen sich nieder - und krochen dann, wie Krebse, seitwärts, über das Dach und in das Gebäude.

Ihm war übel. Und er war fasziniert. Kalter Nachtwind blies, und er schauderte. Er war müde, vom Schock benommen. Auf den Eingangsstufen zum Rathaus standen hier und dort Leute herum. Gruppen von Männern kamen aus dem Gebäude und blieben einen Moment stehen, bevor sie weitergingen.

Waren das auch welche von denen?

Wohl kaum. Was er aus dem schwarzen Spalt herabkommen sah, waren keine Menschen. Das waren Außerirdische - aus irgendeiner anderen Welt, irgendeiner anderen Dimension. Sie glitten durch diesen Schlitz, diesen Riß in der Hülle des Universums. Kamen durch diese Öffnung, geflügelte Insekten aus einer anderen Daseinssphäre.

Auf den Stufen vor dem Rathaus löste sich eine Gruppe von Menschen auf. Ein paar gingen auf einen wartenden Wagen zu. Eine der zurückbleibenden Gestalten wollte wieder ins Rathaus gehen, überlegte es sich anders und wandte sich um, um den anderen zu folgen.

Loyce schloß entsetzt die Augen. Ihm wurde schwindlig. Er hielt sich fest, klammerte sich an den schiefen Zaun. Die Gestalt, die Menschengestalt, war plötzlich aufgeflogen und hinter den anderen hergeflattert. Sie schwebte zum Bürgersteig und landete bei den anderen.

Pseudo-Menschen. Menschenimitationen. Insekten mit der Fähigkeit, Menschengestalt anzunehmen. Wie andere, auf der Erde bekannte Insekten. Schutzanpassung. Mimikry.   - Philip K. Dick, Der Gehenkte, in: Das Vater-Ding. Zürich 2000 (zuerst 1953)

Ankommen (6)  Ich begann auf den Zehenspitzen von Tür zu Tür zu schleichen, während ich im Finstern die über ihnen angebrachten Nummern las. An einer Biegung stieß ich endlich auf ein Zimmermädchen. Sie stürzte keuchend und erregt aus einem Zimmer heraus, als hätte sie sich aus jemandes aufdringlichen Händen losgerissen. Kaum daß sie verstand, was ich zu ihr sagte. Ich mußte es wiederholen. Sie drehte und wand sich ratlos.

»Haben Sie meine Depesche erhalten?« Sie breitete die Arme aus, ihr Blick wanderte zur Seite. Sie wartete nur auf eine Gelegenheit, um zur halbgeöffneten Tür umzuspringen, nach der sie schielte.

»Ich komme von weit und habe in diesem Haus telegraphisch ein Zimmer bestellt«, sagte ich mit einer gewissen Ungeduld. »An wen soll ich mich wenden?«

Sie wußte es nicht.

»Vielleicht gehen Sie ins Restaurant«, wand sie sich. »Jetzt schlafen alle. Wenn der Herr Doktor aufsteht, werde ich Sie anmelden.«

»Schlafen? Es ist doch Tag und ist noch lange bis zur Nacht...«

»Bei uns schläft man ständig. Wissen Sie das nicht?« Sie richtete neugierige Augen auf mich. »Außerdem ist es hier niemals Nacht«, fügte sie kokett hinzu. Sie wollte nicht mehr davonlaufen, zupfte mit den Händen die Spitze ihrer Schürze zurecht und krümmte sich.  - Bruno Schulz, Das Sanatorium zur Todesanzeige. In: B. S., Die Zimtläden und alle anderen Erzählungen. München 1966

Ankommen (7)  

Ankommen (8)  Auf jeden Fall muß ich so lange gehen, bis ich mich im Inneren einer Wohnstätte befinde; nicht anders nämlich ist es uns möglich anzukommen, als wenn die Wohnstätte zu uns kommt; denn was auch immer wir uns vormachen oder anstreben mögen, wir sind das Ziel und nicht der Ausgangspunkt; und es gibt nichts Besseres als zu gehen, um immer am selben Ort zu bleiben; ja sogar: Ich gehe,-weil ich weiß, daß ich so stillstehe und eingeholt werden kann; denn wenn alles in dem Tal für mich ungenau ist, dann ist es nicht unmöglich, daß ich für das Tal ungenau bin; und daß ich mich daher bewegen muß, um stillzustehen, weggehen muß, um eingeholt zu werden, und das wählen muß, was nicht existiert, um von dem gewählt zu werden, was, auf welche Weise auch immer, existiert.

Also in einer geraden Linie auf keinen Bestimmungsort zugehen; nicht abweichen, weder weil ein Ort näherkommt, noch weil er verschwindet, noch weil er sich verwandelt; darauf warten, daß man angekommen ist, und manchmal noch eine Weile dazu, bevor man mit der Bewegung aufhört, die einem die Illusion verschaffte, auf keinen Ort zuzugehen.  - Giorgio Manganelli, Kometinnen und andere Abschweifungen. Berlin 1997

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