nhänglichkeit  Lucinda ist ein weibliches Äffchen mit malvenfarbener Haut und grauem Fell; es gehört zur Art der Lagothrix, die man hier ihres charakteristischen dicken Bauchs wegen barrigudo nennt. Ich habe Lucinda, als sie wenige Wochen alt war, von einer Nambikwara-Indianerin erhalten, die sie aufpäppelte und Tag und Nacht auf dem Rücken trug, um dem kleinen Tier die Mutter zu ersetzen (auch die Affenmütter tragen ihre Jungen auf dem Rücken). Ich fütterte Lucinda mit Kondensmilch aus der Flasche und flößte ihr am Abend Whisky ein, der das arme Tier in tiefen Schlaf sinken ließ und mich wenigstens für die Nacht von ihm befreite.

Am Tag war Lucinda allerhöchstens zu folgendem Kompromiß bereit: sie ließ sich dazu herbei, meine Haare gegen meinen linken Stiefel einzutauschen, an den sie sich von morgens bis abends mit allen Vieren genau oberhalb des Fußes klammerte. Zu Pferd war diese Position durchaus annehmbar und auch im Einbaum war nichts gegen sie einzuwenden. Schlimm wurde es nur, wenn wir zu Fuß gehen mußten, denn jeder Brombeerstrauch, jeder Zweig, jedes Schlammloch entriß Lucinda gellende Schreie. Alle meine Bemühungen, sie dazu zu bewegen, meinen Arm, meine Schulter, ja sogar meine Haare zu akzeptieren, blieben erfolglos. Sie brauchte den linken Stiefel - ihr einziger Schutz und einziger Ort der Sicherheit in diesem Wald, in dem sie zwar auf die Welt gekommen war, den ihr die wenigen in der Nähe des Menschen verbrachten Monate jedoch so entfremdet hatten, als sei sie in der raffiniertesten Zivilisation großgeworden. So versuchte ich nun, auf dem linken Bein hinkend und die Ohren schmerzhaft erfüllt von schrillen Vorwürfen bei jedem Fehltritt, den Rücken von Abaitara, unserem Führer, nicht aus den Augen zu verlieren, der uns mit schnellen, sicheren Schritten im grünen Dämmerlicht vorausging, zuweilen hinter dicken Stämmen zu verschwinden schien, nach rechts und nach links mit dem Buschmesser einen uns unverständlichen Weg bahnte, der uns immer tiefer in den Wald führte. - (str2)

Anhänglichkeit (2) Mit meiner Aversion gegen diesen Kater jedoch schien gleichzeitig seine Vorliebe für mich zu wachsen. Stets folgte er meinen Spuren mit einer Hartnäckigkeit, welche dem Leser begreiflich zu machen schwer fallen würde. Wann immer ich mich irgendwo niederließ, kroch er unter meinen Stuhl, um sich dort hinzukuscheln, oder sprang mir auf die Knie, um mich mit seinen widerwärtigen Liebkosungen zu bedecken. Erhob ich mich, um zu gehen, so geriet er mir zwischen die Füße und brachte mich dadurch fast zu Fall, oder er schlug seine langen und scharfen Krallen in meinen Anzug und kletterte mir in dieser Weise zur Brust hinauf. Obschon es mich zu solchen Zeiten verlangte, ihn mit einem Hieb zu erschlagen, hielt mich doch immer wieder Etwas davon ab: - zum Teil war's die Erinnerung an mein früheres Verbrechen, doch in der Hauptsache - ich will's nur gleich gestehen - war's regelrechte Furcht vor diesem Tiere. Es war dies freilich durchaus keine Furcht vor körperlichem Schaden - und doch wieder wäre ich verlegen, wie anders ich's beschreiben sollte. Fast ist es mir genierlich zu bekennen - ja, selbst in dieser Verbrecherzelle hier befällt mich nachgerade Scham bei dem Geständnis, daß all das Entsetzen und Grauen, welches das Tier mir eingeflößt hatte, recht eigentlich erhöht noch worden waren durch ein Hirngespinst, wie man es sich kaum trügerischer vorzustellen vermag. Mehr denn einmal hatte meine Frau mein Aufmerken auf die Bildung jenes Flecks von weißem Haar gelenkt, von welchem ich zuvor schon berichtet habe und das den einzigen sichtbaren Unterschied zwischen dem fremden, neuen Tiere und jenem, das ich umgebracht, ausmachte. Der Leser wird sich erinnern, daß dieser Fleck, wennschon groß, ursprünglich sehr unbestimmt gewesen war; doch nach und nach, ganz langsam und allmählich - ja, fast kaum wahrnehmbar, so daß meine Vernunft sich langezeit mühte, das Ganze als phantastisch abzutun - hatte er am Ende einen schauerlich eindeutigen Umriß angenommen. Es war nun die Darstellung eines Gegenstandes, den zu nennen es mich graut - und um dessentwillen ich vor allem Ekel litt und Angst und gern des Untiers mich entledigt hätte, hätt' ich's nur gewagt! - es war nun, sage ich, das Abbild eines scheußlichen, gespensterlichen Dinges - war das Bild des GALGENS! - Edgar Allan Poe, Die schwarze Katze, in (poe)

Anhänglichkeit (3) Warum flieht das Thier, zittert und sucht sich zu verbergen? Weil es lauter Wille zum Leben, als solcher aber dem Tode verfallen ist und Zeit gewinnen möchte. Eben so ist, von Natur, der Mensch. Das größte der Uebel, das Schlimmste was überall gedroht werden kann, ist der Tod, die größte Angst Todesangst. Nichts reißt uns so unwiderstehlich zur lebhaftesten Theilnahme hin, wie fremde Lebensgefahr: nichts ist entsetzlicher, als eine Hinrichtung. Die hierin hervortretende gränzenlose Anhänglichkeit an das Leben kann nun aber nicht aus der Erkenntniß und Ueberlegung entsprungen seyn: vor dieser erscheint sie vielmehr thöricht; da es um den objektiven Werth des Lebens sehr mißlich steht, und wenigstens zweifelhaft bleibt, ob dasselbe dem Nichtseyn vorzuziehn sei, ja, wenn Erfahrung und Ueberlegung zum Worte kommen, das Nichtseyn wohl gewinnen muß. Klopfte man an die Gräber und fragte die Todten, ob sie wieder aufstehn wollten; sie würden mit den Köpfen schütteln. Dahin geht auch des Sokrates Meinung, in Plato's Apologie, und selbst der heitere und liebenswürdige Voltaire kann nicht umhin zu sagen: on aime la vie; mais le néant ne laisse pas d'avoir du bon [Man liebt das Leben; aber das Nichts hat auch sein Gutes: Lettre à Mme la Marquise du Deffand, 1. n. 1769]: und wieder: je ne sais pas ce que c'est que la vie eternelle, mais celle-ci est une mauvaise plaisanterie [Ich weiß nicht, was es mit dem ewigen Leben auf sich hat, aber das gegenwärtige Leben ist ein schlechter Spaß: Lettre à M. le Comte d'Argental, 27. f. 1768].  - (wv)

Anhänglichkeit (4)   Ich richtete mich auf, blieb eine Weile auf meinen Knien hocken und rieb mir die Hände, wie um die Erinnerung an den unwirklichen, aber wirksamen Dolch aus meiner rechten Handfläche zu vertreiben. Bei jeder Bewegung stießen die Ketten aneinander und veranstalteten einen Lärm, der mir durch und durch ging. Ich kniete vor dem eiskalten Körper des Mädchens im "Tantalus"-Kostüm, als wollte ich beten.

Beten ist nicht gerade meine Stärke, aber vielleicht konnte ich im Augenblick nichts Besseres tun...

Doch. Abhauen!

Ich stellte mich auf meine zitternden Beine, konnte mich aber nicht ganz aufrichten. Die Kette, die mich an die Leiche fesselte, war zu kurz. Ich fiel wieder auf die Knie und versuchte, mich von meinem Armband zu befreien. Denkste! Ich hatte zuviel Schiß, um was Vernünftiges zustande zu bringen. Fühlte mich hundeelend und war schweißgebadet von den Haarwurzeln bis zu den Füßen. Ich mußte dieses Zimmer verlassen! Egal wie, egal womit! Mit Marion im Schlepptau ging ich zu meinen Kleidern und untersuchte sie. Man hatte mir nichts geklaut, weder Geld noch Revolver, nichts. So gut es ging, mehr schlecht als recht, zog ich meine Hose an, setzte mir den Hut auf. Die restlichen Kleider klemmte ich mir als Paket unter den Arm. Ich sah mich um. Was hatte ich mit meinen Fingern alles angefaßt? Dann ging ich im Zimmer umher, immer die tote Marion im Schlepptau, und wischte mit meinem Taschentuch alles ab, worauf Fingerabdrücke von mir sein konnten. Schließlich ging ich zur Tür, steckte noch schnell Tabaksbeutel und Pfeife ein, die auf einem Stuhl lagen. Vor der Tür machte ich eine Verschnaufpause und horchte. Kein Laut. Nichts Verdächtiges. Ich konnte versuchen, in der staubigen Rumpelkammer Zuflucht zu suchen und so immerhin Zeit zu gewinnen. Meine Hand drehte am Türknauf.

Ich erschauerte.

Der widerliche Schweiß von eben tropfte mir wieder dick und klebrig den Rücken runter und kitzelte mich. Mir war aber gar nicht zum Lachen zumute. Die Tür war abgeschlossen, der Schlüssel steckte aber nicht im Schloß.

Mir wurde schwindlig. Wenn das so weiterging, kippte ich gleich wieder um. Halb gebückt, lehnte ich mich gegen die Tür. Mein linker Arm baumelte hin und her, wodurch die Kette, die mich mit Marion verband, im Takt schepperte. Ich blickte hilflos um mich. Die Handtasche der Toten! Da, zum Teufel. Ich ging wieder mit Marion spazieren.

Plötzlich zog sie an der Kette wie ein störrischer Hund. Ich verlor das Gleichgewicht und fiel der Länge nach hin. Einer der verdammten Stacheln in ihrem Gürtel hatte sich am Bettpfosten verklemmt. Ich machte die Leiche wieder flott. - Léo Malet, Stoff für viele Leichen. Reinbek bei Hamburg 1989 (zuerst 1982)

Anhänglichkeit (5)

Anhänglichkeit (6)  Der Wahnsinnige wußte, daß es ein Mädchen war, und sagte: »Wie ist das möglich? Jetzt soll der Kuckuck rufen?« und nahm bei diesen Worten einen Stein, warf nach dem Mädchen und traf es gerade am Kopfe, so daß es tot zu Boden fiel. Ganz entsetzt rief der Pope: »Was hast du nun an­gerichtet, oh weh uns Armen!« — »Was wollt Ihr denn, Ehrwürden, der Ruf »Kuckuck, Kuckuck« hat deine Tochter getötet. Ihr seid mir nun wohl böse darüber?« — »Nein«, sagte der Pope und wußte jetzt, daß er dem Wahnsinnigen nicht mehr entrinnen konnte. Da tat der Pope eines Tages so, als ob er über Land müßte, und sagte zu seinem Diener: »Du bleibst doch immer zu Hause? Ich gehe jetzt über Land und werde wohl zwei bis drei Tage bleiben. Ich muß zur Taufe.« Damit brach er auf. Doch was tat der Wahnsinnige? Er hob die Tür aus, nahm sie auf den Rücken und ging hinter dem Popen her. Anfangs merkte es der Pope nicht, aber als sie in ein Dorf kamen, schaute er sich um und sah seinen Diener hinter sich. Da fragte der Pope ganz erstaunt: »Was suchst du denn hier? Ich habe dir doch gesagt, daß du zu Hause bleiben und auf die Tür aufpassen sollst.« — »Was wollt Ihr, Ehrwürden, ich passe doch auf die Tür auf, sie ist bei mir.« So mußte er wohl oder übel zwei Tage mit dem Wahnsin­nigen zusammenbleiben, und am dritten Tage kehrten sie wieder heim. Der Wahnsinnige nahm die Befehle des Popen entgegen und legte sie immer falsch aus. Als der Pope sagte: »Zünde ein Licht an, ich kann nicht mehr sehen«, zündete der Diener ein großes Feuer an; als er sagte: »Mach Feuer an«, da zündete er des Popen Haus an, und als der Pope ihm sagte: »Oh weh, was hast du gemacht? Siehst du nicht, daß du das Haus in Brand gesteckt hast?« antwortete er: »Habt Ihr, Ehrwürden, nicht gesagt, daß Ihr gut und weit sehen wolltet?« und immer fragte ihn der Wahnsinnige: »Ehrwür­den, Ihr habt Euch wohl sehr erzürnt?« und immer sagte der Pope aus Angst: »Nein.« Aber im stillen war die Furcht des Popen groß, und er sann ständig auf Mittel, wie er den Wahnsinnigen wieder loswürde. Da verfiel der Pope auf einen neusn Gedanken. Er ging mit seiner Frau und dem Wahnsinnigen an eine Brücke, und dort legten sie sich schlafen, der Pope an den Rand, die Frau des Popen an die andere Seite und der Narr in die Mitte. Am nächsten Tage sagte der Pope zu dem Wahnsinnigen: »Heute abend schlafen wir noch-mai auf der Brücke.« — »Gut«, sagte der Wahnsinnige, «ich mache mit.« Diesmal legten sie ihn an den Rand und die Frau des Popen in die Mitte, und immer rückten sie näher, und der Pope feuerte seine Frau an, sie solle weiter hinrücken, damit der Wahnsinnige ins Wasser fiele, »Rücke hin, rücke hin!« Doch diesem gelang es, im letzten Augenblick in die Mitte zu kommen, und die Frau des Popen fiel ins Wasser und ertrank. Der Pope, der nicht gemerkt hatte, daß der Narr in die Mitte gerückt war, freute sich und rief: »Gott sei Dank, daß wir endlich den Wahnsinnigen los sind.« — »Nein, Gott sei Dank, daß wir deine Frau los sind«, sagte der Wahn­sinnige. »Oh weh, was hast du bloß angerichtet!« — »Ihr habt Euch wohl erzürnt, Ehrwürden?« Diesmal konnte sich der Pope nicht mehr halten, ihm lief die Galle über. Er barst vor Zorn und sagte: »Ja!« Da packte ihn der Wahnsinnige und tötete ihn. - (zig)

Anhänglichkeit (7) GOLEM fehlen grundsätzlich die für den Menschen typischen affektiven Zentren, so daß er eigentlich kein Gefühlsleben besitzt und folglich außerstande ist, spontan Gefühle zu äußern. Gewiß kann er beliebige Gefühlszustände imitieren - nicht durch Schauspielerei, sondern, wie er selbst behauptet, deshalb, weil simulierte Gefühle es erleichtern, eine Aussage so zu gestalten, daß sie möglichst genau ihre Adressaten erreicht. Also benützt er diesen Mechanismus und pegelt sich gewissermaßen auf das »anthropozentrische Niveau« ein, um eine möglichst gute Kommunikation mit uns herzustellen. Übrigens verhehlt er diesen Sachverhalt durchaus nicht. Wenn sein Verhältnis zu uns ein wenig an das Verhältnis von Lehrer und Schüler erinnert, dann gibt es darin nichts von der Haltung eines wohlwollenden Beschützers, eines Erziehers - und erst recht keine Spur von ganz und gar individuellen, persönlichen Gefühlen, aus einer Sphäre, wo aus Wohlwollen Freundschaft oder Liebe werden kann.

Er und wir haben nur ein einziges Merkmal gemeinsam, wenn es auch in ungleichem Maße entwickelt ist. Es ist dies die Neugier, eine rein intellektuelle, klare, kalte, raffende Neugier, die durch nichts gebändigt oder gar zerstört werden kann. Sie ist der einzige Punkt, in dem wir mit ihm zusammenkommen. Aus Gründen, die so offensichtlich sind, daß sie keiner Erklärung bedürfen, kann ein so schmaler, sich auf nur einen Punkt beschränkender Kontakt den Menschen nicht genügen. Und doch verdanke ich GOLEM allzuviele Augenblicke, welche die lichtesten Momente meines Daseins bilden, so daß ich nicht umhin kann, Dankbarkeit und eine besondere Anhänglichkeit für ihn zu empfinden - obgleich ich weiß, wie wenig ihm das eine wie das andere bedeutet. Interessant ist, daß GOLEM versucht, Zeichen der Anhänglichkeit nicht zur Kenntnis zu nehmen - ich habe das mehrfach beobachten können. Er scheint damit einfach nichts anfangen zu können.

Aber ich kann mich irren. Von einem Verständnis GOLEMs sind wir noch immer genauso weit entfernt wie in dem Augenblick seiner Entstehung. Es stimmt nicht, daß wir ihn geschaffen haben. Geschaffen haben ihn die der materiellen Welt eigentümlichen Gesetze, und unsere Rolle beschränkte sich darauf, das wir sie abzugucken verstanden. - Stanislaw Lem, Also sprach GOLEM. Frankfurt am Main 1986 (zuerst 1973)

Gemüt Klebrigkeit
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