nglomanie  Dieser bleiche, glattrasierte junge Mann war in einen ärmellosen, großkarierten Sportmantel gehüllt und bot mit seinen runden Augen und der klassisch gipsernen Starrheit seiner Züge, inmitten deren der scharlachfarbene, halboffene Mund prangte wie ein Paradiesapfel auf einem Stück Käse - dieser junge Mann also bot das vollendete Bild der Spezies »Anglomane«. Er hätte zweifellos einen netten, kleinen Franzosen abgegeben, hätte er sich nur das blonde Bärtchen wachsen lassen und auf seinen ultrapurpurnen Lippen, die beständig danach lechzten, ein Lächeln geduldet. Vielleicht sogar hätte er, gekleidet wie ich und du, auch ausgesehen wie ich und du... Aber nein. Tiburce spielte den Engländer. Er behängte seine gallische Figur mit Londoner Stoffen; er bedeckte sein pariserisches Gesicht mit der britannischen Maske. Und statt feierlich zu wirken wie ein Lord, wirkte er dieser Art feierlich wie ein Clown. - Maurice Renard, Die blaue Gefahr. Frankfurt am Main 1989 (st 1596, Phantastische Bibliothek, zuerst 1911)

Anglomanie (2)  Tiburce warf sich  auf ein Sofa, kreuzte die Beine, starrte in einen Winkel der Zimmerdecke, kaute ein wenig an seinen Nägeln und begann schnell und gleichgültig, mit heiserer, tonloser Stimme - mit jener Stimme eben, die der Schauspieler Gemier seinem Sherlock Holmes verlieh - wie folgt:

»Herr Le Tellier, Sie besitzen einen Hund von der Rasse der sogenannten stichelhaarigen Stallpinscher. Diesen Jagdhund aber halten Sie im Zimmer wie ein Schoßhündchen, denn Sie sind kein Jäger. Kein Jäger, aber Pianist. Ein sehr guter Pianist sogar, oder Sie glauben es zumindest, es zu sein. Ich will hinzufügen, daß Sie bei der Kavallerie gedient haben, daß Sie gewöhnlich ein Monokel tragen und daß das Scheibenschießen eine Ihrer Lieblingsbeschäftigungen ist. - Ruhe! - Schweigen Sie! Ich bitte, mich nicht zu unterbrechen.« Und ohne den Blick zu senken, fuhr er fort:

»Der untere Rand Ihrer Hose ist mit Haaren bedeckt. Diese Haare aber können nur aus dem Fell eines Hundes obbemeldeter Rasse oder von einer Ziege stammen. Da es aber bei uns nicht Sitte ist, Ziegen zu unseren Füßen liegen zu lassen - ziehen Sie selbst den Schluß! - Andererseits weiß ich, daß Ihr Beruf Ihnen nicht Zeit läßt, auf die Jagd zu gehen, und ich folgere daraus, daß Ihr Hund gegen seine Natur vom Schicksal zum Zimmerhund gemacht worden ist. — Sie spielen Klavier. Jawohl. Als ich Ihnen die Hand reichte, verspürte ich an Ihren Fingerspitzen, daß die Haut an diesen Stellen verhärtet ist wie bei allen Pianisten. Daraus habe ich ersehen, daß Sie sogar sehr häufig spielen. Ein Mann Ihres Alters und Ihrer Intelligenz wird eine so heikle Kunst nicht so eifrig üben, wenn er darin nicht Vortreffliches leistet oder zu leisten glaubt. Trotz Ihrer Genialität als Astronom kann ich Ihr pianistisches Talent nicht beschwören, siehe Ingres und sein Geigenspiel. - Sie haben bei der Kavallerie gedient, denn Sie gehen mit auseinandergespreizten Beinen und steigen die Treppen hinunter, als fürchteten Sie, mit den Sporen an den Stufen hängen zu bleiben. Sie haben also Reitergewohnheiten. Und diese Gewohnheiten stammen aus vergangener Zeit, denn in Paris sieht man Sie niemals zu Pferd. Da Ihnen nun in Ihrer bescheidenen und fleißigen Jugendzeit der Luxus des Reitens versagt blieb, müssen Sie notwendig die Rosse des Staates getummelt haben. Still, wenn ich bitten darf! - Sie tragen ein Monokel. — Ausgezeichnet. Ich habe seine Spur in der Falte Ihrer rechten Augenhöhle entdeckt. — Ich behaupte, daß Sie oft mit Pistolen oder Flinten schießen, denn Sie haben die Gewohnheit, das linke Auge zuzudrücken, um zu zielen; es ist etwas kleiner als das andere, und die ›Krähenfüße‹ genannten Fältchen im Augenwinkel sind links etwas schärfer als rechts. Weil Sie aber nicht jagen, folgt daraus, daß Sie nach der Scheibe schießen. —Das ist alles. Dixi!«

»Wenn Sie jetzt nicht zufrieden sind!« rief Garan in spöttischem Tone aus.

Aber Le Tellier war nicht zu Spaßen aufgelegt. Ohne ein Wort zu »»erwidern, zog er aus einem dunklen Winkel unter dem Schreibtisch einen Fußwärmer aus Ziegenfell hervor und warf ihn mitten in das Zimmer.

»Da ist der stichelhaarige Stallpinscher«, sagte er.

Dann öffnete er einen Kasten und wies auf seine Schreibmaschine. - »Das ist das Klavier.«

Er entnahm seine Uhrmacherlupe einer Lade, steckte sie unter den rechten Augenbrauenbogen und sagte schneidend:

»Das ist das Monokel.«

Endlich wies er eine Fotografie vor, die ihn in der charakteristischen Haltung seines Berufes darstellte: das rechte Auge am Okular eines astronomischen Fernrohres und das linke Auge geschlossen, wie es alle Astronomen während ihrer Beobachtungen tun.

»Und da ist das Gewehr oder die Pistole«, sagte er mit einem gereizten Zischen. »Was die Kavallerie betrifft, so weiß ich nicht, was Sie damit sagen wollen. Möglich, daß ich krumme Beine habe, aber ich bin mein Lebtag auf keinem Pferd gesessen. — Hiermit, mein junger Freund, lassen Sie sich sagen, daß Sie Zeit und Ort sehr schlecht gewählt haben, um den Hanswurst zu spielen, und daß Sie, wäre es der Brauch, aus dem Flug der Gimpel zu weissagen, für einen ausgemachten Pechvogel gelten könnten. — Das ist alles. Dixi.«  - Maurice Renard, Die blaue Gefahr. Frankfurt am Main 1989 (st 1596, Phantastische Bibliothek 225, zuerst 1911)

 

Franzosen Manie

 

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