nfeuerung
»Beeil dich, Mädchen, das Publikum
hat schon allzu lange gewartet. Vergiß nicht, daß das Publikum, auch wenn es
nur aus einem einzigen Zuschauer besteht, anspruchsvoll
ist, denn schließlich bin ich es. Und vergiß auch nicht, daß ich alle,
die sich sträuben oder übertrieben prüde sind, mit Rasiermesserhieben
ausziehe. Wirklich schade um die Haut, wenn sie so untrennbar
mit Wolle und Baumwolle, mit Nylon, Kunstseide oder Seide verhaftet ist! Wenn
du sie dir zu dem guten Gebrauch erhalten willst, den dein Mann oder deine Liebhaber
davon machen, oder auch nur, um dein Nervensystem, dein Skelett und deine Adern
mit einem epidermischen Gewebe zu bedecken, dann zeig sie vor wie im Tivoli,
besser als im Tivoli! Entschäle dich, kleine Mangofrucht, hüte dich vor dem
Messer...« Hätte er, um mich einzuschüchtern, sich eines Revolvers
bedient, dieses unentbehrlichen Begleiters jedes männlichen Wesens in meiner
Heimat, so hätte ich der Drohung getrotzt, und zwar voller Gleichmut; aber das
in der behaarten Hand blinkende und blaue Blitze aussendende Rasiermesser überstieg
alles, was auch das verhärtetste Herz hätte ertragen können. Die vor den Kerzen
(den Rampenlichtern der Bühne) fuchtelnde Klinge war wie ein von einem Affen
unversehens geschwungener Feuerbrand; bei ihrem bloßen Anblick war mir, als
gleite sie über mich hin und dringe in mich ein. - André Pieyre de Mandiargues, Der
Akt zwischen den Särgen.
In: A.P.M., Schwelende Glut. Frankfurt am Main 1995 (st 2466, Phantastische
Bibliothek 323, zuerst 1959)
Anfeuerung (2)
Ein 16jähriges Mädchen schnitt ihre Pulsadern und Arme auf, rannte
auf die Stufen einer katholischen Kirche zu und stach sich ein Rasiermesser
in den Hals, während eine etwa hundertköpfige Menge sie anfeuerte: "Tu,
was du mußt, Schwester. - Richard Selzer, The Hartford Girl. Nach: David B. Morris, Geschichte des Schmerzes. Frankfurt am Main 1996
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