nankasten
Mir ist nämlich wirklich elend, nicht nur schwindlig, auch dieses Herzrasen,
und Luft bekomme ich nur schlecht, und dann diese Gesichter dieser leukotomierten
Anankasten, die mich so durchdringend ansehen und dabei noch nicht einmal besonders
gut gemalt sind, also ohne solche Tricks zum Beispiel, dass einen die Augen
überallhin verfolgen oder dass man plötzlich eine alte Frau sieht und dann wieder
eine junge oder dass zwei Gesichter eine Vase
ergeben oder eine Gruppe von Menschen einen Schädel,
unendliche Möglichkeiten gibt es da ja, wenn man sein Handwerk versteht, aber
diese Porträts dieser leukotomierten Anankasten waren ganz farblos, eintönig,
immer ähnlich, aber nicht gut ähnlich, nicht so ähnlich
wie die Porträts von Jawlensky, die Meditationen von Jawlensky, die auch
immer ähnlich sind, aber gerade dadurch immer intensiver werden, durch die kleinen
unscheinbaren Variationen, diese Porträts, die ich mir fast einmal die Woche
angesehen hatte, früher, im Landesmuseum Wiesbaden, als der Eintritt noch frei
war, als es noch nicht umgebaut war, noch gar nicht umgebaut war, noch nicht
ein einziges Mal umgebaut war, sondern alles noch düster und dunkel und mit
Holz verkleidet war, so wie hier der Flur auch mit Holz verkleidet ist, fällt
mir gerade auf, eigentlich ein ganz schöner Flur,
ein anheimelnder Flur, trotz dieser Porträts, weil, so denke ich gerade, oder
sagte ich die ganze Zeit dachte, dann hätte ich mich nämlich, während ich es
erlebe, quasi schon in die Vergangenheit versetzt, was ich oft mache, dass ich
etwas in mir so erzähle, obwohl ich es gerade erst erlebe, so tue, als hätte
ich es schon erlebt, weil es dadurch nicht mehr so gefährlich ist, weil es damit
nicht mehr so bedrohlich ist, weil ich das, was ich gerade erlebe, nicht reflektieren
kann, nicht nachdenken kann über diese Porträts leukotomierter Anankasten, die
hier in diesem anheimelnden Flur, mir wird gerade so schlecht, ohne Witz jetzt,
dieser Druck im Kopf, und ich weiß auch nicht, warum ich nicht schon längst
unten an der Rezeption bin, denn so viele Stockwerke hat das Hotel doch gar
nicht, so viele Stufen muss ich doch normalerweise gar nicht nach unten laufen,
auch wenn sie keinen Aufzug haben, noch nicht mal ein Pater Noster, noch nicht
mal ein Stabat Mater. -
(raf)