nalyse, politische  »Andererseits, wenn der größte Teil der Menschheit den Sozialismus will, ist es unvermeidlich, daß die Welt sozialistisch wird.«

»Vielleicht.«

»Vielleicht, vielleicht auch nicht. Es wäre nicht das erstemal, daß der größte Teil der Menschheit etwas will und die Geschichte einen anderen Lauf nimmt.«

»Auch das ist möglich.«

»Was ist möglich?«

»Daß die Geschichte einen anderen Lauf nimmt.«

»Was für einen Lauf denn?«

»Ich weiß es nicht.«

»Andererseits sind wir Reichen (ich zähle mich durchaus dazu) wirklich unsympathisch.«

»Aber du, Onkel...«

»Glaube mir: wir sind unsympathisch, wir sind dumm, wir sind verdorben, wir langweilen uns. Es kann nicht bis ans Ende der Welt so weitergehen, mit den Reichen auf der einen, den Armen auf der anderen Seite. Ich habe das deutliche Gefühl, daß es, weiß Gott, so nicht weitergehen kann.«

»Wer kann das sagen?«

»Andererseits: wem solltest du das Kapital anvertrauen? Dem Staat? Seien wir doch ehrlich: der Staat, das sind die Beamten. Gott schütze und bewahre uns vor ihnen! Die Beamten, abgesehen davon, daß sie in Italien alle Diebe sind . . . Nein, du brauchst den Kopf nicht zu schütteln, sie sind alle Diebe.«

»Ich habe mich ja nicht gerührt, Onkel!«

»Überall auf der Welt werden die Beamten, sobald sie eine absolute Autorität besitzen, solche Tyrannen, daß die römischen Kaiser im Vergleich damit die reinen Waisenknaben sind .. . Nein, der Sozialismus würde das Mittelalter bedeuten.«

»Gewiß.«

»Andererseits, da es das Mittelalter einmal gegeben hat, könnte es das Mittelalter auch zweimal geben.«

»Ja, natürlich.«

»Andererseits, warum sollte das Mittelalter wiederkehren? Wer hat das bestimmt? Wer hat das dekretiert? Wir selbst setzen uns gewisse Dinge in den Kopf und verwechseln sie dann mit der Wahrheit, so wie damals, als die Leute sich in den Kopf gesetzt hatten, daß die Neujahrsnacht des Jahres 1000 den Weltuntergang bringen würde. Was dann nicht eintraf. Nein, ich glaube nicht daran, daß das Mittelalter wiederkehrt.«

»Ich glaube auch nicht daran.«

»Andererseits, ist das, was wir heute in Italien haben, nicht so etwas wie das Mittelalter?« »Ich weiß nicht. . .«

»Und ob es das ist! Jungchen, nur der Krebs kann uns retten, wenn es schnell genug damit geht.«

»Man sagt, er habe ein syphilitisches Magengeschwür, keinen Krebs.«

»Und das sagst du mir jetzt? ... Mein Gott, das bedeutet unseren Ruin. Ein syphilitisches Magengeschwür verschwindet nach zwei Injektionen ... Andererseits, wenn er stirbt, was geschieht dann? Wer kommt an die Macht? Die vier Taugenichtse aus seiner Umgebung? Die bringen sich beim Kampf um die Beute gegenseitig um. Die Kommunisten, die im Gefängnis sind? Die wären schlimmer als die Faschisten. Denn die Faschisten sind wenigstens Spitzbuben und machen die Scheußlichkeiten, die sie im Sinn haben, schlecht. Aber die Kommunisten sind redliche und unerbittliche Leute und machen ihre Scheußlichkeiten gut.. .«

»Ja, das ist wahr ...«

»Andererseits spreche ich allzu leichtfertig vom Kommunismus. Wenn er nun eine seriöse und nützliche Angelegenheit wäre?«

»Man sagt...«

»Man sagt... das bedeutet nichts. Auch wenn der Kommunismus nützlich ist — und ich versichere dir, daß er es nicht ist —, lehne ich mich dagegen auf, weil er unmoralisch ist, insofern er die Freiheit unterdrückt ...«

»Das wollte ich ja sagen.«

»Andererseits, wer anders könnte die Macht ergreifen, wenn er stirbt? Die Alten, die jetzt hübsch zu Hause bleiben und sich nicht zu kompromittieren glauben, bloß weil sie weder Zeitungen noch Bücher lesen und den ganzen Tag Karten spielen? Sie sind alt und können die Massen nicht regieren .. .«

»Gewiß, ohne Zweifel . . .«

»Andererseits sollen sich die Massen zum Teufel scheren. Wenn sie an den Galgen wollen, ich will es nicht! Und ich werde etwas gelten, weiß Gott, wenigstens vor mir selbst... Und andererseits ist, was ich da gesagt habe, vielleicht alles verkehrt. «  - Vitaliano Brancati, Bell'Antonio. Frankfurt am Main 1961 (zuerst ca. 1950)

 

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