mygdalopath  Kürzlich wurde in einem Fernsehprogramm gezeigt, wie die Polizei in den Peripherien von Santo Dios mit großangelegten nächtlichen Razzien vorgeht. Im Schatten der wie in einem Schacht zwischen hohen baufälligen Häusern liegenden Straßen landen Hubschrauber mit Polizeischwadronen, die Nachtschwärmer und Bettler, Stadtstreicher und Betrunkene fassen, die auf der Straße sind, zudem junge Leute mit kriminellem Aussehen und alte Leute mit erschöpftem Aussehen, die auf ihrem kleinen Gang im Freien unterwegs sind. Die Gefaßten werden einer Blutprobe unterzogen, um zu prüfen, ob sie von Bevölkerungen gamunischen oder paragamunischen Ursprungs abstammen. Erst kürzlich haben die Behörden eine andere, komplexere Untersuchung eingeführt, von der sich die Experten hervorragende Ergebnisse erwarten. Es handelt sich um die Untersuchung der Amygdala, das heißt eines Teils des limbischen Systems, der tief in den Temporallappen eingebettet ist und der, wie man erkannt hat, für emotionale Reaktionen wie Angst oder Aggression oder Liebe zuständig ist. Die Wissenschaftler sind bereits jetzt imstande, verschiedene Grade von Störungen der Amygdala zu definieren; und mit Hilfe ihrer statistischen Tabellen läßt sich eine genaue Rangordnung amygdalagestörter Individuen aufstellen. Da es bekannt ist, daß die Gamuna ein Volk von Gestörten sind, wird die wissenschaftliche Forschung bald in der Lage sein, sichere Daten über ihre Nachkommen in den südöstlichen Peripherien zu liefern. Bis jetzt haben sich durch gamunische Versuchspersonen, die von Fallschirmjägerschwadronen in Sondermission eingefangen wurden, überraschende Ergebnisse gezeigt: Es wurde bewiesen, daß 61 Prozent der erwachsenen Gamuna an »minimaler zerebraler Funktionsstörung« (minimal brain disfunction) leiden und häufig von Hyperkinese befallen sind, die mit Thyroxingaben behandelt werden sollte; für die restlichen 39 Prozent empfehle sich dagegen ohne Zweifel eine Amygdalektomie. Hier nahm die große Forschung ihren Ausgang, die feststellen sollte, wie viele Einwohner der Städte im Landesinneren als »Gestörte gamunischen Typs« zu registrieren waren, sei es durch Kreuzung, direkte Abkunft oder durch eine weitzurückliegende erbliche Belastung. Ein weiteres Fernsehprogramm über dieses brennende soziale Problem soll demnächst auch über die europäischen und amerikanischen Sender ausgestrahlt werden.

In der Hauptstadt der Städte des Landesinneren wurde inzwischen ein computerisiertes Strafregister in Betrieb genommen, das auf dem amygdalischen Code der in den südöstlichen Peripherien Gefaßten basiert - das heißt einer Masse von Kleinkriminellen, Landstreichern, Pädophilen, Alkoholikern, obdachlosen Stotterern, Arbeitslosen ohne Grund usw. Man braucht nur einige Tasten zu drücken, und das große computerisierte Strafregister vermittelt augenblicklich das statistische Bild der amygdalopathischen Lage im gesamten Territorium. Darüber hinaus versucht man durch den Einsatz großer Universitatscomputer die verwandtschaftlichen Beziehungen eines jeden Gefaßten sowohl in der agnatischen Linie (das heißt väterlicherseits) als auch der kognatischen Gruppe (das heißt in den Seitenlinien) zu rekonstruieren. Auf diese Weise hofft man ein vollständiges Bild der Verwandtschaftsbeziehungen zusammenzustellen, das Verbrecher und unerwünschte Personen der heutigen Peripherien mit gamunischen Vorfahren oder Seitenlinienverwandten verknüpfen dürfte.

An offizieller Stelle vermutet man, es handle sich um Nomadenbanden, die auf irgendeine unbekannte Weise aus der Wüste kamen und sich in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg illegal am Rand der Metropolen ansiedelten. Zu diesen Banden, so hieß es, gehörten auch die gamunischen Propheten aus der Gegend von Majaderia del Este, die den bevorstehenden Weltuntergang predigen, verbunden mit der Geschichte, daß das Menschengeschlecht aus der Erde kommt (nach ihrer Ansicht war Adam ein winziges Insekt, das in den tiefsten geologischen Schichten der Erde wohnte).     - (fata)