mbivalenz Wenn ich die Menschen betrachte, möchte ich der Despotie verzeihen; und wenn ich die Despotie sehe, muß ich die Menschen beklagen. Es wäre eine schwere Frage, ob die Schlechtheit der Menschen die Despotie nothwendig oder die Despotie die Menschen so schlecht macht. - (seume)

Ambivalenz (2)  1. Wandern ist eine menschliche Eigenschaft, die wir von vegetarischen Primaten geerbt haben.
2. Alle Menschen haben ein emotionales, wenn nicht gar biologisches Bedürfnis nach einer Basis - Höhle, Grube, Stammesterritorium, Besitztum oder Hafen. Das haben wir mit den Karnivoren gemeinsam.  - (chatw)

Ambivalenz (3)  Im Mythos von Kain und Abel wird der Konflikt zwischen wandernden und seßhaften Stämmen faßbar. »Und Abel wurde ein Schäfer, Kam aber wurde ein Ackermann.« Der territoriale Konflikt endet mit einem Mord. Die Pointe der Geschichte besteht darin, daß der Seßhafte, nachdem er den Nomaden getötet hat, seinerseits vertrieben wird: »Unstet und flüchtig sollst du sein auf Erden.«

 Die Geschichte der Menschheit läßt sich als Entfaltung dieser Parabel lesen. Über Jahrtausende hinweg bilden sich immer wieder stationäre Populationen. Aufs Ganze und auf die Dauer gesehen, bleiben sie jedoch die Ausnahme. Die Regel sind: Raub- und Eroberungszüge, Vertreibung und Exil, Sklavenhandel und Verschleppung, Kolonisation und Gefangenschaft. Immer war ein erheblicher Teil der Menschheit in Bewegung, auf der Wanderung oder auf der Flucht, aus den verschiedensten Gründen, auf gewaltförmige oder friedliche Weise eine Zirkulation, die zu fortwährenden Turbulenzen führen muß. Es handelt sich um einen chaotischen Prozeß, der jede planende Absicht, jede langfristige Prognose zunichte macht. - H. M. Enzensberger, Die Große Wanderung. 33 Markierungen. Frankfurt am Main 1993

Ambivalenz (4)  »Newton war nicht der erste Vertreter des Zeitalters der Vernunft. Er war der letzte Magier, der letzte in der Tradition der Babylonier und Sumerer, der letzte große Geist, der mit den gleichen Augen auf die sichtbare und verstandesbestimmte Welt sah wie jene, die vor weniger als 10000 Jahren unser geistiges Erbe zu schaffen begannen.«

Keynes stellte anschließend fest, Newton sei in der ersten Phase seiner intellektuellen Entwicklung der Alchimie und anderen esoterischen Praktiken dieser Art »eindeutig mit Haut und Haar verfallen« gewesen, und dies »just in den Jahren, in denen er seine Principia schrieb«. Keynes, der Hunderte von Seiten aus Newtons eigenhändigen Aufzeichnungen über seine esoterischen Forschungen studiert hatte (die Aufzeichnungen liegen in den Archiven in Cambridge), kommt zu dem Schluß: »Es läßt sich schlechterdings nicht leugnen, daß sie durch und durch von magischem Denken beherrscht und ohne jeden wissenschaftlichen Wert sind, wie auch kein Weg an der Tatsache vorbeiführt, daß Newton ihnen jahrelange Arbeit widmete« (aus »Newton, the Man«, in: Keynes, Essays in Biography, Norton, New York 1963, 5. 311, 318 f.). In seinen späteren Jahren ließ Newton natürlich Verirrungen dieser Art hinter sich und zeigte der Nachwelt das strikt empiriewissenschaftliche Gesicht, das man so viel besser an ihm kennt; zeit seines Lebens verhinderte er stets, daß seine alchimistischen Papiere veröffentlicht wurden oder auch nur eingesehen werden konnten. Er erteilte allerdings auch nie die Anweisung, sie zu vernichten. - (wesch)

Ambivalenz (5)  Ist das nicht ein herrlicher Zug in Rousseaus Bekenntnissen, wo er sagt, er habe mit Steinen nach Bäumen geworfen, um zu sehen, ob er selig oder verdammt würde? Großer Gott, wie oft habe ich Ähnliches getan, ich habe immer gegen den Aberglauben gepredigt und bin für mich immer der ärgste Zeichendeuter. Als N . . . auf tot lag, ließ ich es auf den Krähenflug ankommen, wegen des Ausgangs mich zu trösten. Ich hatte, wenn ich am Fenster stand, einen hohen Turm mir gegenüber, auf dem viele Krähen waren. Ob rechts oder links vom Turm die erste Krähe erschien. Sie erschien von der Linken, allein da tröstete ich mich wieder damit, daß ich nicht festgesetzt hatte, welches eigentlich die linke Seite des Turms genannt zu werden verdiente. Es ist vortrefflich, daß Rousseau sich mit Fleiß einen dicken Baum aussuchte, den er also nicht leicht fehlen konnte.  - (licht)

Ambivalenz (6)  Vor zweiundzwanzig Jahren, nachmittags gegen fünf, am 23. März 1819, wurde August von Kotzebue, der berühmteste Lustspieldichter der Deutschen seiner Zeit, auf seinem Zimmer in Mannheim von einem damals unbekannten Studenten, Karl Sand, durch einen Dolchstoß ermordet. Nicht leicht hat jemals ein Kriminalfall in Deutschland größeres Interesse erregt; keiner ist verschiedener beurteilt worden. Es war, den Umständen nach, ein Meuchelmord, den Motiven nach, ein politischer Mord. Jenes Verbrechen gehört zu den allerseltensten in unserm Vaterlande, dieses war in der neuern Zeit ein fast unerhörtes, und wo es in der Geschichte vorkommt, erscheint es gepaart mit dem wilden Jähzorn roherer Generationen oder ist in das Dunkel jener angeblichen Vergiftungsgeschichten entrückt, die vor der historischen Kritik ebensowenig zu erweisen als zu widerlegen sind. Dieser Fall war ganz klar, Tat, Umstände, Motive. Er war von keiner Aufwallung der Leidenschaft veranlaßt, sondern ein lang prämeditierter, vorbereiteter, und der Dolchstoß wurde mit kaltblütiger Ruhe geführt. Und dennoch war in dem ruhigen, sittlichen Deutschland das Staunen, die Teilnahme, die Rührung größer als die Entrüstung. Ja die Tat wurde gepriesen, bewundert, nicht allein von leichtsinnigen Jünglingen, sondern von besonnenen Männern. Für den Mörder schlugen alle weichen Herzen und flossen die Tränen der Frauen und Mädchen. Kränze und Blumen schmückten seine Grabstätte, man wollte ihm den Ruhm eines Märtyrers vindizieren, während um den Ermordeten, einst der Liebling des großen deutschen Publikums, kaum eine laute Klage, kaum ein stummer Seufzer gehört wurde.

»Bei dieser Gelegenheit«, sagt ein Schriftsteller, »wurde klar, welcher Riß durch unsere geistige Welt geschehen ist, und die unparteiische Geschichte wird einst alle Stimmen über dieses Verbrechen, von dem spärlichen, großenteils nur furchtsamen und halblauten Tadel durch alle Nuancierungen bis zum hellen Jubel über den Mord und bis zur Lobpreisung des Täters sammeln und daraus ein gerechtes Urteil über das Zeitalter bilden; denn dieses ist es, welches sich in den Individuen abspiegelt und ausspricht, die als Sprecher für viele bei dieser Gelegenheit hervortreten.« - Der neue Pitaval. Eine Sammlung der interessantesten Criminalgeschichten aller Länder aus älterer und neuerer Zeit. Hg. vom Criminaldirector J. E. Hitzig und Dr. W. Häring. Frankfurt am Main 1986 (it 819, zuerst 1842)

Ambivalenz (7)  In unserem Jahrhundert der Luftfahrt und der drahtlosen Elektrizität. Mit dem Verstand möchte ich ein Genie werden, mit dem Gefühl möchte ich nackt unter üppigen nackten jungen Frauen sitzen, die stark nach ihren Geschlechtsorganen riechen und die, wenn sie mich ansehen, erregt werden. - Daniil Charms, nach (enc)

Ambivalenz (8)  

This young boy epitomizes our Welsh ambivalent love for both rugby and music. This place, Pant-y-Waen, was once, in the 1930s, voted the most Beautiful Village in South Wales, but it has long since been obliterated by opencast mining. When I asked what he was doing, he replied, “My mother gave it to me to mend”. - Phillip Jones Griffiths

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