Medizinische Chronik
Beobachtung eines Falles von vorzeitiger
Altersschwäche an einem Landbriefträger,
der durch Wackeln
mit den Ohren auf den Namen Nathaniel hört.
NATHANIEL:
Laß mich den Dreck meiner Windeln wiederkäuen
Den die mit
schweren Kreuzschlägen traktierten geifernden Rinder wegschaffen,
KRANKENWÄRTER:
Iß deine Suppe!
NATHANIEL:
Ich würde lieber meiner Amme den süßen Mond
aussaugen, die meine Füße
leckte, als ich krank war.
KRANKENWÄRTER:
... Oh! Eine Brotsuppe!...
NATHANIEL:
Die Pappeln der Avenue, wo kleine Kinder erhängt wurden
sind
traurig wie abgeschnittene Zehen.
KRANKENWÄRTER:
Willst du essen!...
NATHANIEL:
Aber er ist schal, der Mond; und ich bin zu wenig wirklich
ein
Mensch. Der Himmel ist eine Trommel.
KRANKENWÄRTER:
Willst du
Deinen Bären?
NATHANIEL:
Ich bin nicht so klein, damit man mich liegen läßt
In dieser
Tabaksdose, die nach schimmeligem Holz; riecht.
KRANKENWÄRTER:
Was sagt er?
NATHANIEL:
Ich will ein Dada sein, groß wie eine Kathedrale
Eine Gerstenzuckerschnecke,
und dann ... das KIND!
das bleiche
Kind!
Man soll mir das grüne Kind meiner ausgedorrten Nächte
bringen, mein süßes
aussätziges Kind, mein Vater der Seebär.
KRANKENWÄRTER:
Du wirst ausgepeitscht, wenn du nicht vernünftig bist!
NATHANIEL:
Das KIND! Ich sage das Kind! Ich werde meine Pappseele
wie
einen Floh hüpfen lassen; und dann meine BaumwoIIseele ...
ich werde euch
ersticken mit ihr!
ALARMGLOCKE:
(bei erhobenem Zeigefinger des Krankenwärters)
Diese Szene, wie peinlich sie auch immer sein mag, ist nicht im geringsten dazu geeignet, der heutigen Jugend als Beispiel zu dienen, der Jugend, die die Hoffnung der Rasse und des Vaterlands ist, und die sich niemals den drei verachtenswerten Seuchen der Gesellschaft hingeben möge:
dem Wein
dem Tabak
und den Frauen!
- René Daumal, nach
(jar)
Altersschwäche (2) Jenseits der Siebzig
ist alles Kummer und Sorge, sagt der Psalmist, und die allgemeine Erfahrung
bestätigt die Wahrheit dieses Satzes für die Altersschwachen. Besonders betroffen
sind dabei diejenigen, die ein aktives und geschäftiges Leben hinter sich haben,
ständig Befehle erteilen und viele Bedienstete überwachen mußten und das alles
von einem Tag auf den anderen aufgaben wie Karl der Fünfte, der ganz plötzlich
zugunsten Philipps zurücktrat. Augenblicklich überwältigte ihn die Melancholie;
aber auch wenn sie weitermachen wie bisher, werden sie zuletzt senil und können
aufgrund der üblichen Altersgebrechen ihren Besitz nicht mehr verwalten. Geplagt
von Schmerz, Sorge und Kummer, kindisch und verwirrt, benehmen sie sich überall
daneben, führen Selbstgespräche, sind ärgerlich, reizbar, mit allem unzufrieden.
Cicero nennt sie mißtrauisch, launisch, gierig, hart, Balthasar Castilio
eigensinnige, abergläubische, eingebildete Prahlhänse und Selbstbewunderer.
Dieses natürliche Gebrechen zeigt sich am ausgeprägtesten bei alten
Frauen, und zwar insbesondere solchen, die arm, alleinstehend, verachtet,
auf Almosen angewiesen oder Hexen sind. - (bur)