ltar   Er hatte rasch und spinnenartig die Kapelle ihrer ganzen Länge nach durchlaufen und war auf den Altar geklettert. Jetzt hatte ihn Nena, man kann schon sagen, nur wenige Schritte und im vollen Licht der beiden Kerzen, vor sich. Sie und die Nonne waren erstarrt, hielten den Atem an. Und das Fürchterliche nahm seinen Anfang.

Der Affe näherte sich zielstrebig dem Ziborium und öffnete es so heftig, daß das Türchen hinten anschlug. Nachdem er einen Augenblick lang wie ein Huhn mit schiefem Kopf hineingestarrt hatte, streckte er seinen  Arm hinein und holte sich zweimal eine Handvoll geweihter Hostien heraus, die er sogleich verschlang. Beim Anblick solchen Sakrilegs konnte die junge Nonne nicht mehr an sich halten und verkrampfte sich in Nenas Arm; diese faßte das so auf, daß sie eingreifen wolle, auch weil für sie das Ziel der Wache nunmehr erreicht sein mußte, hielt sie also mit unerwarteter Energie, ja, fast mit Gewalt auf ihrem Platz fest und preßte ihr die Hand auf den Mund. Und jene fürchtete sich oder war nahe daran.

Tombo spazierte, nachdem er die geweihten Hostien verspeist hatte, ein- oder zweimal auf groteske Weise den ganzen Altarrand auf und ab, fast als warte er nach seiner Darbietung auf den Beifall des Publikums. Danach begab er sich wieder zum Ziborium und entnahm ihm diesmal nur eine geweihte Hostie, die er auf den Altar fallen ließ; anschließend ergriff er den heiligen Kelch, den er waagerecht hielt und ebenfalls fallen ließ, ohne ihn weiter zu beachten; letztes nahm er sich mit seiner Rechten das heilig Korporale, das er allerdings in der Hand behielt. Und| ging nun zum Flügel des Altars und ergriff mit der Linken das heilige Meßkännchen, das er an seine Brust preßte. Wieder an seinen Ausgangspunkt zurückgekehrt, verharrte er dort mit benommener Miene und diesen beiden Gegenständen in den Händen, als wisse er nicht, was er mit ihnen anfangen oder, besser, wie er mit seinen vollen Händen nun weitermachen solle. Schließlich schüttelte er mit Heftigkeit das heilige Korporale, so daß sich dieses entfaltete, und schleuderte es vor seine Füße. Danach ergriff er es, wobei er das Meßkännchen zwischen seine Beine klemmte, ergriff jedoch gleich danach dieses und ließ jenes fallen; und hielt am Ende beide in Händen wie zu Beginn des Manövers. Allerdings hatte sich ihm wegen seiner ruckartigen Bewegungen ein Teil des heiligen Tuchs um den Unterarm gewickelt, und nun merkte Tombo, daß er seine  Rechte gebrauchen konnte, ohne daß dieses Tuch  hinunterfiel.  Also nahm er den heiligen Kelch wieder in die Hand und machte sich daran, nachdem er das Meßkännchen so lange gerüttelt hatte, bis der Stöpsel abfiel, den heiligen Wein in diesen zu gießen. Wozu er in bizarrer Weise vorging: ohne die Karaffe von seiner Brust zu entfernen, legte er den heiligen Kelch, Öffnung zu Öffnung, daran; und brachte es zuwege, indem er sich mit dem ganzen Körper nach hinten warf und die verschiedensten Verrenkungen vollbrachte, daß einige Tropfen heiliger Flüssigkeit vom einen ins andere Gefäß rannen. Dies vollbracht, kauerte er sich vorsichtig wieder hin und stellte den heiligen Kelch zwischen seine Füße. Dann erhob er sich ruckartig, schwenkte schier mit Leidenschaft das Kännchen und leckte an dessen Öffnung; führte es jedoch gleich wieder an den Mund und trank den darin verbliebenen heiligen Wein bis zum letzten Tropfen aus. Er war nicht viel, dieser heilige Wein, doch die Wirkung kam fast augenblicklich. Ohne das Tier im eigentlichen Sinne betrunken zu machen, reichte er doch, ihm viel Schwung und Übermut und seinen Bewegungen noch ein Zusätzliches an Ruckartigkeit und Lächerlichkeit zu verleihen. Die Ampulle wurde nun ihrem Schicksal überlassen; Tombo hatte sie fallen lassen und schubste sie ärgerlich mit beiden Händen weg. Hatte er sich doch wiederum niedergekauert, um noch einmal den heiligen Kelch zu ergreifen, den er jetzt mitten auf den Altar stellte. Auch die geweihte Hostie las er auf und legte sie wie einen Deckel darüber. Schließlich ergriff er das Korporale, das ihm immer noch vom Arm herunterhing, doch nicht etwa, um damit diese beiden Dinge zu bedecken, sondern um es sich mehr schlecht als recht über die Schulter zu werfen. Solcherart liturgisch gekleidet, bewegte er sich mit Schritten, die man als Tanzschritte hätte bezeichnen können, um diese herum; hopste einige Male hastig, wobei er mit beiden Fußballen zugleich kräftig auf die Altarplatte stampfte. Näherte sich dem heiligen Kelch und ergriff ihn, den Rücken dahin gewandt, wo sonst die Gläubigen sind, beziehungsweise er sah auf das Ziborium; hob dieses in die Höhe; setzte es wieder ab; machte eine halbe Kehrtwendung, breitete die Arme aus, doch ohne seine Ellenbogen allzu sehr vom Körper zu entfernen, die Handflächen geöffnet; wandte sich wiederum dem heiligen Kelch zu, hob ihn von neuem . . . Die beiden Frauen begriffen im ersten Augenblick nicht, wollten nicht begreifen . . . Leser, ich kann nichts dafür: Tombo las Messe.

Tierisch fraß er nun die geweihte Hostie und trank den heiligen Wein. Und hier zaudere ich wiederum. Ich bin mir nicht sicher, ob ich das Recht habe, alles und jedes zu sagen und wohlgeborene Gemüter bis zu diesem Grade zu verstören; aber schließlich muß ich auch die letzte Verruchtheit dieser verruchten Nacht berichten. Tombo ließ, von plötzlicher Not ergriffen, den heiligen Kelch fallen, so daß dieser über die Fläche rollte; und, sich einem Vorsprung des Tabernakels zuwendend, irgendwie muß ich's doch sagen . . ., pißte auf den Altar.  - Tommaso Landolfi, Zwei späte Jungfern. Reinbek bei Hamburg 1996 (Zuerst 1946)

Altar (2)

- Georges Pichard

Altar (3)  „Ich wurde als Anglikaner erzogen und werde als Anglikaner sterben", sagte der Squire. „Das heißt aber nicht im geringsten, daß ich an die christliche Religion glaube."

Hier trat eine Pause ein, während der Squire sein und seines Besuchers Glas aufs neue füllte.

„Ich liebe den Altar", fuhr der Mann fort, „der Altar ist das einzige absolut befriedigende Objekt des Gottesdienstes, das in unseren degenerierten Tagen übriggeblieben ist, Mr. Solent." Während Mr. Urquhart diese Worte aussprach, zeigte sich auf seinem Gesicht ein Ausdruck, der Wolf als geradezu satanisch erschien.

„Es — ist — Ihnen also — gleichgültig, Sir", warf Wolf vorsichtig hin, „was der Altar darstellt?"

Mr. Urquhart lächelte. „Eh?" murmelte er. „Darstellt — haben Sie gesagt?" Und dann wiederholte er in seiner vagen, verträumt abwesenden Art mehrere Male das Wort „darstellt", als ob er es im Geiste prüfen wollte, so wie ein Kenner wohl einen kleineu Kunstgegenstand prüfen mag; aber während er dies tat, wurde seine Stimme schwächer und schwächer, um schließlich ganz dahinzuschwinden.

Der neue Sekretär neigte sich diskret über seinen Teller mit Mandeln und Rosinen. Er hatte den Argwohn, daß es wohl nur der ausgezeichneten Qualität des Weines zuzuschreiben sei, daß sich der große schwankende Pontifexkopf vor ihm nicht mehr Reserve in seinem ungewöhnlichen Credo auferlegte.

„Ist die Kirche in King's Barton ritualistisch genug für Ihren Geschmack, Sin" fragte er.

Und dann tauchte in seinem Geist unvermittelt, direkt aus der Luft, das Bild Mr. John Urquharts auf, splitternackt, mit vorstehendem Bauch, gleich Punch oder Napoleon, wie er in finsterster Nachts während ein Regensturm die Fenster peitschte, vor dem Altar eines kleinen, dunklen, von Menschen gemiedenen Gebäudes auf den Knien lag.  - John Cowper Powys, Wolf Solent. Wien u. Hamburg 1986 (zuerst 1929)

 

Opfer Gottesdienst

 

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