Ah!   In der Kammer schien es mir still geworden zu sein. Ich stand auf und ging hinein. Oh, welche Bereicherung meiner Impressionen:

ich sah den Vater das Haupt erheben — dieses Haupt, das sich seit mehr als fünf Tagen nicht gerührt hatte. Ich rief den Bruder, der hereinstürzte. Wir standen beide vor dem Bett des Vaters, ganz nah; ich hielt mit der Rechten die Kerze vor sein Gesicht.

Noch mit erhobenem Haupte stieß er ein langes »Ah« aus — gedämpft, gedrosselt — dann sank der Kopf zurück. Sein Gesicht, das sich während der letzten Tage bis zur Unkenntlichkeit verändert hatte, nahm in diesem Augenblick, fast wie durch ein Wunder, den vertrauten Ausdruck an. Gleich danach richtete er den Kopf wieder auf, grimassierte, als ob er niesen müßte, und sank von neuem zurück. Das wiederholte er noch einmal mit derselben Grimasse, bis ihm das Niesen glückte, dann streckte er sich endgültig aus.

Mein Bruder hatte sich beim zweiten Mal geflüchtet, und ich selbst bedurfte, so sehr mich das Schauspiel bannte, meines ganzen Mutes, um auszuharren. Dann weckte ich meine Stiefmutter, und wir kehrten zu dritt in die Kammer zurück. Mein Vater hatte noch einen federleichten Atem, der sich verflüchtigte.

Wir nahmen uns seiner Toilette an. Wie schwer wog der Kopf in meiner Armbeuge, als ich ihn anhob, damit man das Leichentuch unter ihn schob. »Dem also verdanke ich das Leben. Und das blieb von dir übrig, alter Verführer«, sagte ich mir, indem ich mich zurückbog, um dem Anblick zu entgehen. Fast hätte mich sein Gesicht gestreift.   - Paul Léautaud, In memoriam. Übs. Ernst Jünger. Stuttgart, Zürich 1980 (zuerst 1905)

Ah! (2)

Ah! (3)  »Haben Sie einen Platz gesucht?« fragte er auf italienisch. Er war einige Meter von mir entfernt und schien mitten unter den sitzenden Leuten wirklich sehr, sehr groß.

»Aber sollten Sie nicht in Korfu sein?« fragte ich ihn, ohne mich zu rühren.

»Ah«, sagte Mr. Silvera.

Manchmal denke ich, daß ohne dieses »Ah«, ohne sein ganz besonderes, halb ausweichendes, halb bedauerndes »Ah«, gar nichts geschehen wäre. Und in meinen würdelosesten Augenblicken habe ich versucht, es vor einem Spiegel nachzumachen: den Ton, aber auch den lagunen-haft verschwommenen Blick, das unmerkliche Hochziehen der Augenbraue, die leichte Drehung der Hand, die es begleiteten. Ah... Was gäbe ich darum, zu verstehen, warum diese Silbe so unwiderstehlich war. Es war wohl vor allem eine Frage der Feme, scheint mir; als steige der gehauchte Vokal dank ungeahnter ozeanischer Erschütterungen an die Oberfläche, sei er das letzte hörbare Relikt eines fernen, längst verklungenen Donners. Der Widerhall eines nunmehr unverständlichen Worts. Die Beschwörung rätselhafter Schatten.

Doch ich muß mich hüten, nicht zu übertreiben, das Bild nicht zu »überladen«, wie (selbst nach dem Urteil seines Münchener Fans) Pordenone es häufig tat. Wenn ich ganz nüchtern bin, muß ich sagen, daß die Wirkung des »Ah« zunächst nicht so romantisch war, das Gefühl verzehrender Sehnsucht nicht so schnell und ansteckend spürbar wurde. Es war auch, wie ich feststellen konnte, ein ausweichender Aufschub, wenn nicht nachgerade der ironische Auftakt für eine Lüge.   - Fruttero & Lucentini, Liebhaber ohne festen Wohnsitz. München 1990

 

Interjektion Staunen

 

  Oberbegriffe
zurück 

.. im Thesaurus ...

weiter im Text 
Unterbegriffe

 

Verwandte Begriffe
Synonyme