Ddoleszenz, weibliche   Als ich sie in der Blüte ihrer siebzehn Jahre kennen lernte, war Brigitte Bardot von abstoßender Hässlichkeit Zunächst einmal war sie dick, pummelig, um nicht zu sagen fett, mit verschiedenen Wülsten an den Scharnieren ihres plumpen Körpers. Aber selbst wenn sie sich mit unerbittlicher Strenge einer fünfundzwanzigjährigen Abmagerungskur unterzogen hätte, ihr Schicksal wäre dadurch nicht wesentlich milder geworden. Denn ihre Haut war gerötet, uneben und pickelig. ihr Gesicht war breit, platt und rund, mit kleinen, tief liegenden Augen und dünnem, glanzlosem Haar. Tatsächlich drängte sich jedermann auf unvermeidliche und natürliche Weise der Vergleich mit einem Mutterschwein auf.

Sie hatte keine Freundinnen und natürlich auch keine Freunde; sie war also vollkommen allein. Niemand sprach sie an, nicht einmal, wenn es um eine Physik-Aufgabe ging; alle zogen es vor, sich an jemand anderen zu -wenden. Sie kam in die Klasse, dann ging sie wieder nach Hause; nie habe ich jemanden sagen hören, er hätte sie anderswo gesehen als in der Schule.

In der Klasse setzten sich bestimmte Schüler neben sie; sie hatten sich an ihre massige Anwesenheit gewöhnt. Sie sahen sie nicht, machten sich aber auch nicht über sie lustig. Brigitte Bardot beteiligte sich nicht an den Diskussionen in der Philosophie-Stunde; sie beteiligte sich an gar nichts. Auf dem Mars hätte sie kein stilleres Leben geführt.

Ich vermute, dass ihre Eltern sie liebten. Was konnte sie schon unternehmen, abends, wenn sie heimkam i Denn sicherlich hatte sie ein Zimmer, ein Bett und Teddys aus ihrer Kindheit. Wahrscheinlich sah sie mit ihren Eltern fern. Ein dunkles Zimmer und drei durch Photonenfluten zusammengeschweißte Wesen; etwas anderes sehe ich nicht.

Was die Sonntage betrifft, so kann ich mir bestens vorstellen, wie sie von dennächsten Verwandten mit gespielter Herzlichkeit empfangen wird. ihre Kusinen, hübsche Mädchen vermutlich. Niederschmetternd.

Hatte sie Phantasien, und wenn ja, weichet Romantische^ Ich zögere vor dem Gedanken, sie hätte sich auf die eine oder andere Weise, und sei es auch nur im Traum, vorstellen können, dass ein junger Mann aus guter Familie, Student der Medizin, eines Tages den Plan fassen könnte, sie in seinem Cabriolet mitzunehmen, um die Abteien der normannischen Küste zu besuchen, Außer vielleicht, sie hatte sich eine Kutte übergezogen, wodurch das Abenteuer eine mysteriöse Wendung erfahren hätte.

Ihr Hormonhaushalt war in Ordnung; es gibt keinen Grund, das Gegenteil zu vermuten. weiter? Ist das schon Grund genug für erotische Phantasien? Gab es in ihrer Vorstellung Männerhände, die in den Falten ihres feisten Bauchs umhertasteten? womöglich bis zu ihrem Geschlecht vordrängen? Ich stelle diese Frage der medizinischen Wissenschaft, bekomme jedoch keine Antwort. Es gibt, in Zusammenhang mit Bardot, viele Dinge, die ich nicht zu klären vermochte; immerhin habe ich es versucht.

Ich bin nicht so weit gegangen, mit ihr zu schlafen. Ich habe einfach nur die ersten Schritte auf dem Weg unternommen, der normalerweise dahin führt. Genauer, ich habe Anfang November begonnen, mit ihr zu sprechen, ein paar Worte am Ende der Stunden, mehr nicht, zwei Wochen lang. dann habe ich ihr zwei- oder dreimal Fragen über irgendein Mathematikproblem gestellt; das alles ganz vorsichtig, um nicht aufzufallen. Mitte Dezember habe ich begonnen, ihre Hand zu berühren, auf scheinbar zufällige Weise. Sie reagierte jedes Mal wie bei einem Stromstoß. Es war ziemlich beeindruckend.

Den Höhepunkt unserer Beziehung erreichten wir kurz vor Weihnachten, als ich sie bis zu ihrem Zug begleitete (in Wirklichkeit ein Schienenbus). Da der Bahnhof mehr als achthundert Meter entfernt lag, war dies keine Kleinigkeit; ich wurde bei dieser Gelegenheit sogar bemerkt. Bei meinen Klassenkameraden galt ich im Allgemeinen mehr oder minder als krank, sodass der Vorfall meinem sozialen Image nur wenig Schaden zufügte.

An jenem Abend, mitten auf dem Bahnsteig, habe ich sie auf die Wange geküsst. Ich habe sie nicht auf den Mund ge-küsst. Im Übrigen glaube ich, dass sie es paradoxerweise nicht zugelassen hätte, denn selbst wenn ihre Lippen und ihre Zunge nie und nimmer die Erfahrung der Berührung einer männlichen Zunge gemacht hatten, so hatte sie doch einen sehr genauen Begriff von den zeitlichen und örtlichen Bedingungen, unter denen eine solche Operation im archetypischen Verlauf eines Teenager- Flirts stattzufinden hat. Ich würde sagen, die Vorstellung davon war umso genauer, als sie niemals Gelegenheit hatte, vom flüssigen Dunst des gelebten Augenblicks berichtigt und abgemildert zu werden.

Unmittelbar nach den Weihnachtsferien habe ich aufgehört, mit ihr zu sprechen. Der Typ, der mich in der Nähe des Bahnhofs gesehen hatte, schien den Vorfall vergessen zu haben, aber ich hatte dennoch große Angst. Mit Bardot auszugehen hätte jedenfalls eine viel größere moralische Kraft vorausgesetzt als die, mit der ich mich - selbst zu damaligen Zeiten - brüsten konnte. Denn Bardot war nicht nur hässlich, sondern auch eindeutig boshaft. Voll getroffen von der sexuellen Befreiung (es war Anfang der achtziger Jahre, AIDS existierte noch nicht), konnte sie sich natürlich auf keinerlei Jungfräulichkeitsethik berufen. Außerdem war sie viel zu intelligent und zu klar im Kopf, um ihren Zustand durch einen jüdisch-christlichen Einfluss zu erklären - ihre Eltern waren jedenfalls Agnostiker. Jede Ausflucht war ihr also untersagt. Sie konnte nur in stillem Hass die Befreiung der anderen mit verfolgen; mit ansehen, wie sich die Jungen wie Krabben um die Körper der anderen drängten; spüren, wie Beziehungen geknüpft, Erfahrungen gemacht, Orgasmen entfaltet werden; in allen Punkten einer stillen Selbstzerstörung neben der demonstrativen Lust der anderen frönen. So musste ihre Adoleszenz verlaufen und so verlief sie: Eifersucht und Frustration gärten langsam und verwandelten sich in periodisch schwellende Hassanfälle.  - Michel Houellebecq, Ausweitung der Kampfzone (1999, zuerst 1994)

Adoleszenz Weiblichkeit

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