Adlerfang  Als der Rand der Sonne über dem Horizont auftauchte, stimmte Chee den Morgengesang an und brachte eine Pollengabe dar. Nachdem das getan war, wechselte er in den Jagdgesang über. Er sprach dem Adler seine Achtung aus und bat ihn zu kommen und an diesem Opfer teilzunehmen. Er, der Adler, werde dann mit seinem Segen das nächste Leben erlangen und vielleicht das Leben des Hopi retten, dessen Arm er verletzt habe.
Dann kletterte er in den Unterstand hinunter.
Bis zehn Uhr hatte er in westlicher Richtung zwei Adler gesichtet, die den Rand der Bergkuppe abflogen auf der Suche nach Beute, aber der Vogel, den er suchte, war nicht dabei. Er fand die Federn, die Jano bei seinem letzten Aufenthalt hier zurückgelassen hatte, wickelte sie in sein Taschentuch und legte sie beiseite. Er hatte jetzt etwa die Hälfte des Kaffees getrunken und den Apfel aus dem Lunchvorrat verzehrt. Außerdem hatte er zwei weitere Kapitel aus Bill Buchanans Buch «Der Abend vor der Hinrichtung» gelesen. Zwanzig Minuten später erschien der Adler, auf den er gewartet hatte.
Er kam von Osten und ließ sich in großen Kreisbewegungen, die ihn immer näher heranbrachten, fast ohne einen Flügelschlag über die Black Mesa treiben. Durch einen Spalt in den Zweigen über sich verfolgte Chee den Flug des Adlers mit dem Fernglas. Die Lücke im Fächer der Schwanzfedern war deutlich auszumachen. Chee hob das heftig widerstrebende Kaninchen aus dem Käfig, prüfte, ob die Nylonschnur an seinem Hinterlauf sicher befestigt war, und wartete auf einen Moment, da seine Kreise den Raubvogel etwas weiter forttragen würden. Dann setzte er das Kaninchen auf das Dach des Unterstands und legte sich auf die Lauer.
In einem großen Bogen schwang der Adler nach Süden aus, fort von der Bergkuppe des Yells Back Butte, und verlor an Höhe. Über die endlos weite, spärlich mit Beifußsträuchern bewachsene Wüste hin spähte er nach Beute aus und entfernte sich dabei allmählich aus Chees Blickfeld. Der legte sich
vorsichtshalber schon einmal das Gewehr zurecht. Unversehens war der Adler wieder da. Er ließ sich, kaum fünfzig Meter von Chee entfernt, von der Thermik über die Felskante tragen, und schwebte dann nach links über ibn hinweg.
Das Kaninchen hatte seinen Kampf aufgegeben und hockte regungslos auf dem Dach des Unterstandes. Cbee stieß von unten mit dem Gewehrlauf gegen das Gestrüpp. Das Kaninchen machte einen erschreckten Satz, doch die Schnur bremste es, und so saß es gleich wieder still. Der Adler drehte bei und verengte direkt über dem Unterstand abrupt seinen Kreis. Chee ruckte an der Schnur und rief damit eine neue heftige Bewegung des Kaninchens hervor.
Der Adler gab einen rauhen Schrei von sich und stieß herab. Seine ausgebreiteten Schwingen verdeckten einen Augenblick lang den Himmel, dann schlugen sich seine Krallen in das Kaninchen - die eine Klaue in den Rücken, die andere in den Kopf. Chee zerrte gegen die mächtige Kraft der schlagenden Flügel an der Schnur, um den in seine Beute verkrallten Vogel näher an sich heranzuziehen. Er hatte Glück. Es gelang ihm, den Adler an beiden Beinen zu packen. In diesem Moment stürzte alles auf ihn herab: lose Zweige, das Kaninchen und der Vogel selbst. In dem Durcheinander gelang es ihm, seine Jacke über den Adler zu werfen und ihn halb darin einzuwickeln. Er sah sich die Beine des Vogels an. Das Blut an den Klauen war frisch, doch unten am Rand des Schenkeige-fieders sah er etwas Schwarzes, Bröckeliges: das konnte altes, getrocknetes Blut sein. Vielleicht das Blut eines getöteten Beutetieres. Vielleicht aber auch das von Jano. Sollten sie das im Labor entscheiden. Er jedenfalls würde sich jetzt erst einmal ausruhen.    - Tony Hillerman, Die Spur des Adlers. Reinbek bei Hamburg 2000

Adlerjagd Fangen


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