In einem Teil dieses Kellers bewahrten wir Weine,
Schnäpse und Lebensmittel auf. Aus dem rapiden Tempo ihres Verschwindens
gewannen wir die abergläubische Überzeugung, daß die Geister
der dort begrabenen Personen in tiefer Nacht erschienen und Festivitäten
abhielten. Unbestreitbar war zumindest, daß wir des Morgens häufig
Reste von eingemachtem Fleisch entdeckten, auch von Büchsenkonserven
und ähnliche Überbleibsel, die dort verstreut herumlagen, obgleich
der Ort wohlverschlossen und gegen menschliche Eindringlinge
sicher verwahrt war. Der Vorschlag wurde erwogen, die Lebensmittel
zu entfernen und sie woanders aufzustapeln, aber unsere liebe
Mutter, großzügig und gastfreundlich wie stets, sagte, es sei
besser, den Verlust zu ertragen als eine Entdeckung zu riskieren:
wenn man den Gespenstern dieses geringfügige
Vergnügen verwehre, so würden sie womöglich eine Untersuchung
in Gang bringen. - Ambrose Bierce, Ein Grab ohne Boden. In: A.B., Mein Lieblingsmord. Frankfurt am Main 1974 (it 39)
Abwägung (2)
-
Charles M. Schulz
, Peanuts for Everybody. London
1979 (Hodder Fawcett Coronet Books, zuerst ca. 1970)
Abwägung (3)
Der Teufel griff zu den Waffen »am Nabel seines Bauches«, wie es bei
Hiob heißt. Er gab ihm schmutzige Gedanken ein — Antonius verscheuchte sie durch
sein Gebet. Jener erregte sein Fleisch — Antonius bekämpfte den lüsternen Stachel
durch Fasten und Kasteiung. Die bösen Geister wiederholten ihre Angriffe und
veranstalteten um ihn einen Reigen von ungeheuer schönen unzüchtigen Weibern.
Antonius aber erwog bei sich die Drohung des ewigen Feuers und die Plage des
Wurms, der an den Verdammten nagt.
-
Albert Christian Sellner, Immerwährender Heiligenkalender. Frankfurt am Main
1993
Abwägung (4) In dem unbestimmten, aber umbauten Ort,
einem sehr sauberen und kahlen, »funktional« wirkenden Ort, in dessen Innerem
ich mich befinde, und zwar im prallen geometrischen Licht eines wahrscheinlich
sommerlichen Tages, liege ich fast zusammengekugelt am Rande einer großen rechteckigen
Öffnung (wie bei einer Tür oder einem Fensterdurchbruch ohne Läden), die in
eine völlig gestaltlose, aber - wie ich weiß - tiefe Leere mündet, die, insofern
ihr Boden, falls es ihn überhaupt gibt, sich dem Blick entzieht, noch tiefer
ist, als wenn auf einem Eisenbahngleis die Tür eines Waggons sperrangelweit
offenstünde, der von einer in Höchstgeschwindigkeit dahinbrausenden Lokomotive
neuester Bauart gezogen würde. Die Versuchung ist groß, mich von der anderen
Seite der doch so nahen Öffnung hinabstürzen zu lassen, um vermittels einer
Tat, die mich keinerlei körperliche Anstrengung kosten würde, der immerwährenden
Unrast zu entrinnen, der zu entkommen mir soweit ich sehe kein anderes Mittel
übrigbleibt. Ich nehme jedoch gerade in dem Augenblick davon Abstand, in dem
ich mich fast dazu aufgerafft habe, denn meine Angst vor dem grauenhaften Fall
in die absolute Neutralität dieser Leere übersteigt
meine Neigung, Schluß zu machen. - (
leiris2
)
Abwägung (5) »Woran erkennen Sie, daß jemand viel Fahrrad in den Adern hat?«
»Wenn sein Anteil über Vierzig liegt, merkt man es unverkennbar an seinem Gang. Der Gang wird immer schneidig sein, er wird sich nie hinsetzen, und er wird sich mit dem Ellenbogen gegen die Wand lehnen und so die ganze Nacht lang in der Küche bleiben, anstatt ins Bett zu gehen. Wenn er zu langsam geht oder mitten auf der Straße stehenbleibt, wird er der Länge nach hinschlagen und sich von Dritten aufhelfen und anschieben lassen müssen. Dies ist der traurige Zustand, in den der Briefträger sich geradelt hat, und ich glaube nicht, daß er sich je wieder herausradeln wird.«
»Ich glaube nicht, daß ich jemals radfahren möchte«, sagte ich.
»Ein bißchen kann nicht schaden, es härtet ab und versorgt den Körper mit
Eisen. Aber zu weit, zu oft und zu schnell zu gehen, ist auch keineswegs gesund.
Der kontinuierliche Aufprall der Füße auf den Straßenboden bewirkt, daß Sie
eine gewisse Quantität Straße in sich aufnehmen. Wenn ein Mensch stirbt, sagt
man, er werde wieder zu Lehm, aber zuviel Gehen stopft Sie noch viel früher
mit Lehm voll (oder es beerdigt Sie Stück für Stück in der Landstraße) und bringt
Sie dem Tod auf halbem Wege näher. Es ist nicht leicht zu entscheiden, welches
die beste Art der Fortbewegung ist.« -
(obr)
Abwägung (6)
- Tomi Ungerer
Abwägung (7)
Abwägung (8)
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