brüstung
Die gefährlichste Waffe ist heute das Atom, nicht wahr? Nehmen wir also an,
ich könnte alle Atomwaffen für immer unschädlich machen. Nehmen wir an, ich
würde unsichtbare und unschädliche energieschluk-kende Teilchen schaffen und
das gesamte Sonnensystem einschließlich der Erde in eine kosmische Wolke aus
diesen Teilchen hüllen. Sie werden jede Kernexplosion spurlos aufsaugen, noch
ehe ihr Feuerball sich zerstörerisch ausbreiten kann. Ob das Frieden schafft?
Sicherlich nicht. Vor dem Atomzeitalter haben die Menschen ja auch Kriege geführt,
und so würden sie auf die einstigen Kampfmittel zurückgreifen. Nehmen wir also
an, ich könnte alle Feuerwaffen unschädlich machen. Ob das ausreichen würde?
Auch das würde nicht ausreichen, obgleich ich dazu die physikalischen Bedingungen
der Welt radikal verändern müßte. Was bleibt noch? Die Überredung? Aber es sind
doch gerade die Friedensstörer, die am lautesten für den Frieden optieren. Die
Gewalt? Nun, man hat mich doch gerade geschaffen, damit ich sie - als Planer
und Buchhalter der Vernichtung -koordiniere, und ich habe das nicht deshalb
abgelehnt, weil mir das Böse widerstrebt, sondern weil diese Strategie vergeblich
ist. Du glaubst mir nicht? Du meinst, das Unschädlichmachen aller Hieb-, Feuer-
und Atomwaffen würde doch den ewigen Frieden schaffen? Dann will ich dir sagen,
was in Kürze kommen wird. Hast du schon von der Gentechnolögie gehört? Es geht
dabei um die Veränderung der Erbsubstanz lebender Wesen. Mit der Entwicklung
dieser Technologie wird man unzählige Leiden, angeborene Mißbildungen, Krankheiten
und Gebrechen beseitigen können. Zugleich zeigt sich, daß man ebenso leicht
eine genetische Waffe herstellen kann. Es handelt sich dabei um mikroskopisch
kleine Teilchen, die man in die Luft oder ins Wasser streut, wie künstliche
Viren, die jeweils mit einem Steuerkopf und einem operativen Teil ausgestattet
sind. Ein solches Teilchen, mit der Luft eingeatmet, gelangt ins Blut, von dort
in die Fortpflanzungsorgane, und dort beschädigt es die Erbsubstanz. Nicht,
daß diese blindlings beschädigt würde; vielmehr geht es um einen chirurgischen
Eingriff in die Moleküle der Gene. Ein bestimmtes Gen wird durch ein anderes
ersetzt. Was daraufhin geschieht? Zunächst gar nichts. Der Mensch wird normal
weiterleben. Doch der Eingriff wird sich bei seiner Nachkommenschaft zeigen.
Wie? Das wird von den chemischen Waffenschmieden abhängen, welche diese Teilchen,
die Telegene, hergestellt haben. Vielleicht werden immer mehr Mädchen und immer
weniger Jungen geboren. Vielleicht wird nach drei Generationen ein Absinken
der Intelligenz zum zivilisatorischen Zusammenbruch des Staates führen. Vielleicht
werden die psychischen Krankheiten zunehmen, oder es kommt zu einem massenhaften
Auftreten der Anfälligkeit für Seuchen, der Bluterkrankheit, der Leukämie oder
der Schwarzsucht. Dabei wird es jedoch keinen offen erklärten Krieg geben, noch
wird man wissen, daß ein Angriff erfolgte. Ein Angriff mit biologischen Waffen,
etwa mit Bakterien, ist feststellbar, denn um eine Epidemie auszulösen, muß
man sehr viele Keime ausstreuen. Hingegen genügt ein einziges Operon, das eine
Keimzelle beschädigte, um bei dem anschließend gezeugten Kind einen angeborenen
Defekt hervorzurufen. Ein Fingerhut von Telegenen wird daher im Laufe von drei
oder vier Generationen den mächtigsten Staat ohne einen einzigen Schwertstreich
zusammenbrechen lassen. Der Krieg wird also nicht nur unsichtbar und unerklärt
sein, sondern er wird sich mit einer so großen Verzögerung offenbaren, daß der
Getroffene sich nicht wirksam verteidigen kann. - Stanislaw Lem, Also sprach GOLEM. Frankfurt am Main
1986 (zuerst 1973)
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