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(mob)
Abreise (2)
O Ens Entium miserere mei!
Nachdem ich am 2. Mai von der Königlichen Societät der Wissenschaften war angenommen worden, nach der Lappmark zu reisen, um dortselbst die drei regna naturae zu beschreiben, ging ich daran, meine Sachen vorzubereiten, und kleidete mich in folgende Montur:
Die Kleider waren also ein kleiner Rock aus westgötischem Zeug, ohne Saum, mit kleinen Aufschlägen und Kragen aus Wolleplüsch. Hosen recht artig aus Leder, Zopfperücke. Kapuze aus Basthanf; Schnürstiefel an den Füßen. Eine kleine lederne Tasche, eine halbe Elle lang, etwas kürzer in der Breite, aus weißgegerbtem Leder, mit Ösen auf der einen Seite, sie festzubinden und sich umzuhängen; darin waren eingepackt:
1 Hemd, 2 Paar Halbärmel, 2 Nachtjacken, Tintenfaß, Federbüchse, Mikroskop, Perspektiv, Florhaube, um sich der Mücken zu erwehren. Dieses Protokoll. Eine große Anzahl gehefteten Papiers, um Pflanzen darein zu legen, beides in Folio. Ein Kamm, meine "Ornithologie", "Flora Uplandica" und "Characteres generici". Der Hirschfänger saß an der Seite und ein kleines Pistol zwischen Schenkel und Sattel. Ein achteckiger Stock mit mensurae versehen, ein Anmerkbuch in der Tasche samt Paß der Kanzlei zu Uppsala und dem. Empfehlungsbriefe der Sozietät.
Dies 12. Somit reiste ich am 12. Mai 1732 aus der Stadt Uppsala
ab, es war ein Freitag, 11 Uhr vormittags, bis zu meinem 25.
Jahre fehlte mir nur noch ein halber Tag. Nun
begann das ganze Land zu lächeln und Freude
zu fühlen, nun kömmt die schöne Flora und schläft mit dem Phoebus. -
(
lin
)
Abreise (3) Jetzt sind alle Wege belagert. Durch diese hohle Gasse muß er kommen. Sind alle da, von deren Vorhandensein ich nur aus dem Zimmeranschlag etwas geahnt habe. Warnend stand da: es gibt Hausdiener, Zimmermädchen, Kellner; jedes hat sein Klingelzeichen. Meine Abfahrt ist ihr Generalappell. Sie bewegten sich sonst harmlos irgendwo herum, hatten weiße Schürzen - dann waren es Zimmerfrauen - oder grüne - dann waren es Hausdiener - oder trugen aus einem Zimmer Geschirr heraus, nicht aus meinem, - und poussierten dabei mit einem Reinemachemädchen: die Herren Kellner in schwarzen Fräcken, tipp, topp, flugs die Treppe herunter. Jetzt heißt es sich Durchlaß erkämpfen, Wegegeld zahlen, Passiergebühr. Ich trinke noch ein Glas Wasser dieses Hotels, das ich schon verfluche, dann öffne ich meine Tür, schleiche unhörbar über den Teppich des Ganges.
Heiliger Shiwa, was kann es Schlimmes sein. Heraus werde ich schon kommen.
In einer halben Stunde - es ist kaum denkbar - werde ich im brausenden Zuge
sitzen, nach Zakopane fahren. Weit wird hinter mir liegen, in einer halben Stunde,
was jetzt kommt. Da blitzt der erste Gruß, der erste Schuß: « Guten Morgen.»
Da der zweite. Wie freundlich die hinterlistigen Weiber sind, wie sie aufhören
können, den Teppich zu putzen, gerade wenn ich vorbei muß. Schon richten sie
sich hoch, lächeln. Lächeln erwartungsvoll, die Weiber.
Dieses Lächeln kenne ich. Es ist die Form, worin sie ihre Niedertracht kleiden.
Sie reiten Attacken, blasen zum Sturm. Gelingt es mir nicht, dieses Lächeln
festzuhalten, so erlebe ich den Zustoß, mokante Mundbewegungen, Injurien, in
deren Vorgefühl ich zittere. Ich frage: «Welche von Ihnen gehört zu dem Zimmer,
das ich hatte?» Die eine ist bei der Hand, steckt das Lächeln auf und nähert
sich, dem Ritus entsprechend. Den Besen hat sie hingelegt, um die Hand freizuhalten.
Schade, daß sie den Besen nicht im Gesicht hat, damit
sie das verdammte Lächeln aufgibt. Sie bekommt einen Schein, besieht ihn, -
und ich habe das Examen bestanden! Sie nickt, die Räuberin nickt, ihre Augen
blitzen. Sie spricht polnisch im Überschwang ihrer Gefühle. Auch die andere
nickt. Sie haben die Börse, mein Leben ist gerettet. - Alfred Döblin, Reise in Polen. München
1987 (dtv 2428, zuerst 1925)
Abreise (4) Die große Freude ist abreisen und niemals wieder zurückkehren.
Eine Art Satz den man dem Schlaflosen nicht zitieren sollte.
Früher gefiel er Monsieur Traum, der ihn zum eigenen Gebrauch verfaßt hatte,
doch heute bemüht er sich ihn zu vergessen. - (
rp
)
Abreise (5) Da erhebt sie sich. Sie streift gelassen
ihre Handschuhe über. Sie kündigt mir ihre Abreise
an. Sie sagt, sie sei zum letztenmal gekommen. Sie erzählt, sie sei nach Wien
gerufen und gedenke den Winter am Hof zu verbringen, sie sei bereits zu Bällen
und Festlichkeiten eingeladen und die Saison verspreche glanzvoll zu werden...
Ich höre ihr nicht zu. Ich höre nichts mehr. Ich springe sie an. Ich werfe sie
zu Boden. Ich würge sie. Sie schlägt um sich, zieht mir ihre Reitgerte durchs
Gesicht. Aber ich liege über ihr. Sie kann nicht schreien. Ich habe ihr meine
linke Faust in den Mund gepreßt. Mit der andern Hand steche ich zu. Ein schrecklicher
Messerstich. Ich schlitze ihr den Bauch
auf. Blut quillt mir entgegen. Ich zerreiße ihr die Gedärme. - (
mora
)
Abreise (6) Man würde sich irren, hielte man die
Abreisen für eindeutig, unzweideutig und von einstimmiger Beurteilung. O nein,
man bedenke, beispielsweise, die Abreise gewisser My-thologeme. Und richte dein
Augenmerk darauf, wie unterschiedlich und unstimmig das Verhalten der verbündeten,
zanksüchtigen >Ichs< ist, die sich alle mit deinem Vor- und Nachnamen
schmücken wie mit eitlen und leichten Sommerstrohhütchen. Bei den einen heißt's
Tränen, Schluchzer, pompöser Taschentuchkurnmer; aber bei andren werden sich
Hupen, Limonaden, pyramidenspitze Papiermützen versammeln: das reinste Sechstagerennen.
Überlege: du hast ein ›Ich‹, das schwarzgekleidet, rasiert, von makelloser Grammatik
ist, das in jedem Fall für passend hält, sich der kerzen-graden Betrübnis anzuschließen;
aber dein Milchmann-, Bäckerburschen-, Elektriker- ›Ich‹ ist durch und durch
Speise-, Samen- und Exkremente-Fröhlichkeit. -
(nieder)
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