Abendrot  Das Abendrot schimmert schon in Norden — auch in meiner Seele ist die Sonne hinunter und am Rande zucket rotes Licht und mein Ich wird finster - die Welt vor mir liegt in einem festen Schlafe und hört und redet nicht - es setzet sich in mir zusammen eine bleiche Welt aus Totengebeinen — die alten Stunden stäuben sich ab, es brauset, wie wenn an den Grenzen der Erde eine Vernichtung anfinge und ich herüberhörte das Zerbrechen einer Sonne — der Strom stockt und alles ist stille - ein schwarzer Regenbogen krümmt sich aus Gewittern zusammen über diese hülflose Erde. — - Siehe! es tritt eine Gestalt unter den schwarzen Bogen, es schreitet über die Junius-Blumen ungehört ein unermeßliches Skelett und geht zu meinem Berge heran — es verschlingt Sonnen, erquetscht Erden, tritt einen Mond aus und ragt hoch hinein in das Nichts - das hohe weiße Gebein durchschneidet die Nacht, hält zwei Menschen an den Händen, blickt mich an und sagt: »Ich bin der Tod — ich habe an jeder Hand einen Freund von dir, aber sie sind unkenntlich.«

Mein Mund lag auf die Erde gestürzt, mein Herz schwamm im Gifte des Todes - aber ich hörte noch sterbend ihn reden.

»Ich töte dich jetzt auch, du hast meinen Namen oft genennt und ich habe dich gehört - ich habe schon eine Ewigkeit zerbröckelt und greife in alle Welten hinein und erdrücke; ich steige aus den Sonnen in euren dumpfen, finstern Winkel nieder, wo der Menschen-Salpeter anschießet, und streich' ihn ab.... Lebst du noch, Sterblicher?«   - Jean Paul, Die unsichtbare Loge

 

Abend Rot

 

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