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Erstens entsenden die Dinge gar oft, wie der Augenschein lehret,
Körper, die teils zerfließen und so sich im Raume verbreiten,
Wie sich der Rauch aus dem Holze, die Glut aus dem Feuer entwickelt,
Teils auch mehr sich verdichten und fester verweben, wie manchmal
Ihrem Puppengewand die Zikaden im Sommer entschlüpfen
Und wie das Kalb beim Akt der Geburt sich löst von der Hornhaut,
Oder auch so - wie sich ähnlich die schlüpfrige Schlange am Dornstrauch
Ihrer Hülle entledigt. So sehen wir öfter an Hecken
Prangen von Schlangenleibern die flatternden Siegestrophäen.
Steht nun dies so fest, so kann auch ein dünneres Abbild
Aus den Dingen entsteigen der Oberfläche der Körper....

Doch jetzt höre, wie leicht und wie rasch sich die Bilder entwickeln
Und wie beständig ihr Strom von den Dingen her fließt und sich ablöst,
Daß du nicht etwa beginnst an unserer Lehre zu zweifeln.
Immer ist reichlicher Stoff an der Oberfläche der Dinge,
Den sie entsenden können, vorhanden. Und trifft er auf andre
Dinge, so geht er hindurch, wie durch Schleier; doch trifft er auf Rauhes,
Etwa auf Felsstein oder auf Holz: dann spaltet der Strom sich,
Und so kann sich dabei kein richtiges Abbild ergeben;
Stellt sich jedoch ein glänzender Stoff, der dicht ist, entgegen,
Wie man besonders beim Spiegel es sieht, dann zeigt sich was andres:
Weder vermögen die Bilder hindurchzugehn wie durch Schleier
Noch sich zu spalten; denn davor bewahrt sie die Glätte der Fläche.
So kommt's, daß uns der Spiegel die Bilder in Fülle zurückwirft.
Stellst du auch jeden Moment ein andres beliebiges Ding hin,
Immer erscheint dir sogleich auf der spiegelnden Fläche das Abbild.
So erkennst du, daß ständig ein Strom von dünnen Geweben
Und von dünnen Figuren der Oberfläche entquelle;
Also entstehn in kürzester Frist so zahllose Bilder,
Daß man wohl hier von schneller Geburt zu sprechen ein Recht hat.
Und wie in kürzester Frist die Sonne unzählige Strahlen
Ausschickt, daß sich beständig die Welt mit dem Lichte erfülle,
Also müssen der Bilder unzählige ähnlich sich lösen
Von den verschiedensten Dingen und in der verschiedensten Weise
Und nach jeglicher Richtung in einem Moment sich bewegen.

- (luk)

Abbbild (2)

Abbbild (3)  Ich frage mich, ob nicht jemand auch unser Haus zu sehen und seine Intimität anzukratzen beginnt - vielleicht sogar Zeichenübungen an meinem labilen Profil macht. Ich wechsle augenblicklich meinen Standort und beginne, den Kopf hin und her zu wiegen, so daß er ständig in verschiedenen Stellungen erscheint und niemand mich graphisch fixieren könnte. Ich weiß, daß jede Abbildung einen Vitalitätsverlust mit sich bringt, und daß es einem meiner Großväter, der erst kürzlich zu uns zurückkehrte, gelungen ist, seine Frau - die Mutter meiner Mutter - umzubringen, ganz einfach, indem er Ihr einen Bleistift und einen Spiegel schenkte. Der Spiegel hängt nun in diesem Zimmer und ist mit Blutklümpchen und einem Anflug von Auge bedeckt, und unbezwei feibar atmet er auf der rechten Seite. Trübe, runzlig und reserviert, ist der Spiegel in gewissem Sinne ein Sarg, und in diesem Sarg liegt meine Großmutter, weilt wieder unter uns; vorhanden und irreparabel, bis auf jenen protoplasmatischen Stoff, der sich an den Spiegel geheftet hat, und der an heißen Tagen auf den Boden hinabrinnt, wo er ironisch ihr Profil skizziert.  - Giorgio Manganelli, Unschluß. Berlin 1978 
 
 

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