A-a   Gegen Abend fuhren wir in die Stadt zurück, das letzte Stück in der Hochbahn, das Kind schlief in meinen Armen. Mama und Papa kehren vom Picknick zurück. Uns zu Füßen breitete sich die Stadt mit sinnloser geometrischer Starrheit aus, ein hochragender architektonischer Alptraum. Ein Traum, aus dem es unmöglich ist zu erwachen. Mr. und Mrs. Megalopolitan mit ihrem Sprößling. Gefesselt und gefangen. Am Himmel hängend wie erlegtes Wild. Ein Paar von jeder Art, an dem Fußgelenken aufgehängt. An dem einen Ende der Linie Verhungern, am anderen Bankrott, Zwischenstationen der Pfandleiher mit drei goldenen Kugeln, um den dreifaltigen Gott von Geburt, Unzucht und Zerstörung anzudeuten. Glückliche Tage. Ein Nebel breitete sich von Rockaway aus. Die Natur rollt sich wie ein abgestorbenes Blatt zusammen - in Mineola. Von Zeit zu Zeit öffnen und schließen sich die Türen: ein frischer Schub Fleisch für das Schlachthaus. Kleine Gesprächsfetzen, wie das Zwitschern von Meisen. Wer würde glauben, daß der pausbäckige Junge neben einem in zehn oder fünfzehn Jahren aus Angst auf einem fremden Schlachtfeld sich den Verstand aus dem Leibe scheißen wird. Den ganzen Tag verbringst du mit unnützen Kleinigkeiten. Abends sitzt du in einem dunklen Saal und beobachtest, wie Phantome über einem silbernen Wandschirm ziehen. Vielleicht erlebst du die wirklichsten Augenblicke dann, wenn du allein auf der Toilette sitzt und A-a machst. Das kostet nichts und verpflichtet dich in keiner Weise. Nicht wie Essen oder Vögeln oder Kunstwerke schaffen. Du verläßt die Toilette und trittst ein in das große Scheißhaus. Was immer du berührst, ist beschissen. Sogar wenn es in Cellophan verpackt ist, bleibt der Geruch. A-a! Der Stein der Weisen des Industriezeitalters. Tod und Verklärung-in Scheiße! Das Warenhausleben mit duftigen Seidenballen auf dem einen und Bomben auf dem anderen Ladentisch. Ganz gleich, welche Deutung man ihnen gibt, jeder Gedanke, jede Tat wird von der Kasse registriert. Man ist verkauft von dem Augenblick an, in dem man den ersten Atemzug macht. Eine große internationale Körperschaft für Geschäftsmaschinen - Logistik genannt.

Mama und Papa sind jetzt so friedlich wie eine Blutwurst. Kein Funke Streitsucht ist mehr in ihnen. Wie herrlich, einen Tag mit den Würmern und anderen Geschöpfen Gottes im Freien zu verbringen. Was für ein köstlicher Zwischenakt! Das Leben gleitet wie ein Traum vorüber. Würde man die Leiber aufschneiden, während sie noch warm sind, so würde man nichts finden, was diesem Idyll ähnlich ist. Würde man die Leiber auskratzen und sie mit Steinen füllen, so würden sie auf den Grund des Meeres sinken wie bleierne Enten.

Es beginnt zu regnen. Es schüttet. Hagelkörner, groß wie Hühnereier, prallen auf das Pflaster. Die Stadt sieht aus wie ein mit Salvarsan beschmierter Ameisenhügel. Die Abwasserkanäle steigen hoch und speien ihr Erbrochenes aus. Der Himmel ist so düster und fahl wie der Boden eines Reagenzglases.

Ganz plötzlich fühle ich mich mordsmäßig heiter. Ich hoffe zu Gott, daß es vierzig Tage und Nächte so weiterregnet. Ich sähe die Stadt gerne in ihrer eigenen Scheiße schwimmen. Ich sähe gerne, wie Männchen in den Fluß abgetrieben und Registrierkassen unter den Rädern von Lastwagen zermalmt werden. Ich sähe gerne die Wahnsinnigen aus den Irrenanstalten mit Hackmessern hervorbrechen und nach links und rechts ausholen. Die Wasserkur! Wie man sie um das Jahr 98 den Filipinos angedeihen ließ! Aber wo ist unser Aguinaldo? Wo ist die Ratte, die sich der Flut mit einer Machete im Mund entgegenstellen kann?

Ich bringe sie mit einem Taxi nach Hause und setze sie wohlbehalten ab, als gerade ein Blitzstrahl in den Glockentrum der verflixten katholischen Kirche an der Ecke fährt. Die zerbrochenen Glocken machen einen Höllenlärm, als sie auf dem Pflaster aufschlagen. In der Kirche wird eine Gips-Jungfrau in Stücke zerschlagen. Der Priester ist so überrascht, daß er nicht mehr die Zeit findet, seine Hose zuzuknöpfen. Seine Hoden schwellen wie Felssteine.    - Henry Miller, Sexus. Reinbek bei Hamburg 1980 (zuerst 1947)

 

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